Aktuelles

Ich habe neue Fotos eingestellt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tatort Eifel:

Rauchzeichen von Marie-Luise Schmitz

Kathi steht nach dem Brand ihres Hauses fassungslos vor dem Nichts!

Ihr Mann ist spurlos verschwunden und wird von der Polizei gesucht.

War er selbst der Brandstifter?

Doro hatte den Brand aus der Entfernung gesehen. Zufällig lernen sich die Frauen später kennen und befreunden sich. Plötzlich droht Doro in einem Sog von Wut und Gewalt zu versinken und muss um ihr Leben fürchten.

Gewürzt mit idyllischem Lokalkolorit, öffnen sich in der spannenden Story die Abgründe der menschlichen Seele.

 

Das Buch ist am 15. 1. 2009 bei BoD erschienen.

140 Seiten im DIN A 5-Format

Preis: 9,90 €

ISBN: 978 3837 082135

Umschlaggestaltung: Sven und Jennifer Schmitz

 

 

Leseprobe

 

 

Sonntag, der 19. 8. 2007

 

 

Doro blieb stehen und atmete tief ein, es war ein milder Morgen, die Luft war samtig und weich, es würde ein schöner Tag werden. Ihr Blick ging über fruchtbare Äcker und Felder bis weit in die Ferne, am Horizont zeichneten sich die dunkel bewaldeten Hügelketten der Eifel ab. Doro liebte diese Aussicht, auch die rotbraune Irish-Setter-Hündin schien sich zu freuen. In eleganten wellenhaften Bewegungen jagte sie übers Feld, die Nase dicht am Boden, irgendeiner Fährte hinterher. Die Sonne schob sich hinter einer Wolke hervor und ließ Doro blinzeln.

„ Es tut so gut die Sonne zu spüren, die letzten Wochen waren doch richtig verregnet und jetzt, wo die Sommerferien gut vorbei sind, ist endlich schönes Wetter gemeldet.“

„Ja, die letzten Wochen waren recht kühl und verregnet, vom Sommer nichts zu spüren, trotzdem ist es gut, dass wir am Wetter noch nichts ändern können.“

Bert, Doros Mann, ging gemütlich neben ihr her und schien den frischen Morgen genauso zu genießen.

„Morgen beginnt für Viola der Ernst des Lebens.“

„Genaugenommen hat Viola erst übermorgen ihren ersten Arbeitstag, aber sie hat sich doch schon während der letzten Wochen auf ihr Lehramt vorbereitet – sie hat kaum Urlaub gehabt.“

Viola war die erwachsene Tochter von Doro und Bert, die irgendwann im neunten Schuljahr auf die Idee kam: Ich werde Lehrerin und nichts konnte sie von ihrem Ziel abbringen. Zum nächsten Schuljahr sollte sie jetzt ihre erste eigene Klasse übernehmen, ein erstes Schuljahr an der Grundschule der nahen Kleinstadt. Unwillkürlich senkte Doro ihren Blick, aber die Stadt unten im Tal konnte man nicht sehen, zu tief lag sie zwischen den Bergen versteckt. Doch dort am Hügel gegenüber zog eine dünne Rauchsäule senkrecht nach oben.

„Sieh mal dort drüben am Hang, kann es sein, dass ich dort Rauch sehe?“

Bert blickte in die angegebene Richtung.

„Ja tatsächlich, da scheint etwas zu brennen, will wohl jemand seinen Kompost oder Müll entsorgen, der wird aber bei der Feuchtigkeit im Wald kaum brennen.“

„Na, ich glaube, dort brennt es aber ganz ordentlich.“

Die schmale Rauchsäule schien sich langsam zu ver-

größern.

„Wo mag das sein, ich sehe nur Wald, oder was siehst Du?“

„Ich weiß es nicht genau, aber dort irgendwo müsste doch die Waldstraße sein.“

Beinahe wie zur Antwort stieg aus dem Tal gedämpft und leise das Geräusch von Sirenen zu ihnen herauf. Gedämpft und leise, aber trotzdem bedrohlich. Doro hasste Feuer und konnte sich den Geruch und das Prasseln der Flammen beinahe bildhaft vorstellen. Feuer hatte schon so viele Existenzen zerstört und obwohl sie nicht wusste was tatsächlich dort hinten am Hang vorging, konnte sie sich in die Nöte der Betroffenen hineinversetzen.

Die Harmonie des Morgens war dahin, auch Kelly, die Hündin, hatte wohl erst mal genug vom Jagen und schien mit ihren treuen Augen und leicht schiefgelegtem Kopf fragen zu wollen

„Wann geht es endlich weiter?“

 

Der folgende Tag war ein Montag, dort konnte sie es dann in der Tageszeitung lesen:

„Haus in der Waldstraße beinahe vollständig ausgebrannt, glücklicherweise keine Toten oder Verletzten, da sich die Besitzer in Urlaub befanden. Der Schaden geht in die Hunderttausende, die Polizei schließt Brandstiftung nicht aus.“

 

Einige Tage später war in einem anderen Bericht zu lesen, dass die Polizei weiterhin ermittelt und auf sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung hofft. Der Hausherr würde vermisst, mit ihm auch seine Schusswaffen.

Doro runzelte die Stirn, nachdem sie den Artikel gelesen hatte, das war ja wirklich merkwürdig.

An demselben Nachmittag kam Viola zu Besuch. „Schön, dass du dich endlich mal wieder sehen lässt, ich platze vor Neugierde, wie die ersten Tage mit deiner neuen Klasse waren und wie du mit der Rasselbande zurechtkommst.“

„Oh Mama, ich bin k.o., eigentlich sind die Kinder lieb und nett, aber die Geräuschkulisse ist enorm, wenn einer was sagt, rufen die anderen auch dazu. Die sind nicht mehr so schüchtern, wie wir früher waren.“

„Ach, Maus, das weißt du doch schon länger, ich bin sicher, dass du dir noch etwas mehr Respekt verschaffen kannst und ein wenig mehr Ruhe in deine Klasse hineinbringen wirst, wahrscheinlich seit ihr alle noch zu aufgeregt. Wie viele Schüler hast du denn in deiner Klasse?“

„Eigentlich sollten es fünfundzwanzig Kinder sein, aber ein Schüler ist nicht gekommen, so sind es nur vierundzwanzig.“

„Wie, einer ist nicht gekommen, ist das Kind krank und kommt später, oder wie kann ich das verstehen?“

„Nein, der kleine Mattias wird wohl gar nicht kommen, stell dir vor, letzten Sonntag ist das Haus seiner Familie abgebrannt, der Vater wird vermisst, und die Mutter ist mit Mattias wieder nach Köln gezogen.“

„Ja“, ergänzte Doro, „und die Schusswaffen werden auch vermisst. Warum braucht jemand Waffen bei sich zu Hause?“

„Soweit ich weiß, war der Herr Kleinschmidt passionierter Jäger, oder wollte hier in der Eifel seinem Hobby wieder nachgehen und außerdem sollte er diese Woche eine leitende Stelle im Steigenberger Hotel einnehmen. Aber woher weißt du denn schon wieder davon, Mama?“

„Oh, dein Vater und ich haben die Rauchwolken morgens beim Spazierengehen gesehen und einiges stand in der Zeitung. Was du mir jetzt noch erzählt hast macht mich recht nachdenklich, die Frau und das Kind tun mir leid.“

„ Ja, das stelle ich mir auch schlimm vor, so plötzlich vor dem Nichts zu stehen.“

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, der 6. 3. 2008

 

 

Es war früher Morgen, noch dunkel und Doro war auf dem Weg nach Köln zum Blumengroßmarkt. Nach einer langen Winterpause hatte sie sich schnell wieder in ihren Arbeitsrhythmus gefunden. Doro war gelernte Gärtnerin und arbeitete nun schon seit fast dreißig Jahren in einer kleinen Gärtnerei. Ein Familienbetrieb mit einem Blumengeschäft, den Außenanlagen für Stauden- und Baumschulabteilung und den Saisonpflanzen, viel Betrieb brachte noch der Friedhof, der gegenüber auf der anderen Straßenseite lag.

Sie hatte sich im Laufe der Jahre unverzichtbar gemacht und hatte es übernommen bei Bedarf größere Einkäufe direkt in Köln zu erledigen, sehr zur Erleichterung ihrer Chefin, die nicht mehr gerne mit dem Transporter in die Stadt fuhr und die diese Aufgabe auch nur ungern ihrem Mann übertrug, da der die Hälfte vergaß, oder vieles unnötige mitbrachte. Auf Doro konnte man sich verlassen, sie hielt sich an ihren Bestellzettel, brachte aber immer das ein oder andere Schnäppchen mit, wenn sie der Meinung war, das es sich gut verkaufen lassen würde.

Nur Kelly war mit dieser Regelung nicht einverstanden, denn sie hatte jetzt schon um fünf Uhr morgens zum Gassi gehen raus gemusst, es war noch stockdunkel gewesen und sie hatte ihr Frauchen ungläubig angeschaut, die letzten beiden Monate hatte sie ausschlafen dürfen und jetzt plötzlich ... Aber Doro war unerbittlich. „Du kannst doch nachher weiterschlafen, jetzt wird erst mal das Morgengeschäft gemacht und dann hast du  deine Ruhe, heute Mittag bin ich wieder da, Frauchen muss halt jetzt wieder arbeiten gehen.“

Da auch Bert jeden Morgen früh aufstand und zur Arbeit fuhr blieb Kelly keine andere Wahl.

„Du gewöhnst dich schon wieder daran, es ist doch jedes Jahr das gleiche, in fünf Stunden bin ich spätestens wieder bei dir.“

So fuhr Doro leise vor sich hin summend am Rhein entlang, parkte ihr Auto und ging mit einem großen Einkaufswagen versehen in den Blumengroßmarkt hinein.

Drinnen war schon Frühling, der Duft von Tausenden Tulpen und Osterglocken, Hyazinthen und Primeln schlug ihr entgegen, es roch erdig und feucht und Doro blieb erst einmal stehen und nahm eine tiefe Nase voll, genau das war es, was sie so sehr liebte. Sie machte sich zuerst auf den Weg, um die bestellten Topfpflanzen zu kaufen.

Elatior-Begonien, Azaleen und Hibiskus waren schnell gefunden, das waren für Doro null-acht-fünfzehn-Pflanzen, da brauchte man nicht lange zu suchen, Hauptsache der Preis stimmte.

Bei Orchideen und Palmen, die ihre Chefin schon für die Osterdekoration haben wollte, musste man auch mehr auf die Qualität der Pflanzen achten.

„Ja“, dachte Doro, „in vierzehn Tagen ist schon Gründonnerstag, Ostern ist dieses Jahr tierisch früh, gar keine Zeit sich gemütlich aufs Frühjahr einzustellen, kaum fängt die Maloche wieder an, ist auch der Stress schon da.“

Da die Gärtnerei, in der Doro arbeitete keine Gewächshäuser besaß, war sie in der Regel im Januar und Februar witterungsbedingt arbeitslos gemeldet, meistens fing sie Mitte März dann wieder mit ihrer Halbtagsarbeit an, dieses Jahr hatte sie schon zum ersten März wieder begonnen, da Ostern so früh fiel.

Doro war anfangs in ihrer Ehe auf ihren Verdienst angewiesen gewesen, sie war jetzt schon seit dreißig Jahren mit ihrem Bert verheiratet, hatte zwei Kinder bekommen und sie hatten ein eigenes Haus gebaut, da war ihr Geld einfach notwendig gewesen.

Inzwischen waren die Kinder selbst schon erwachsen und führten ihr eigenes Leben, eigentlich könnte sie sich auf ihren Haushalt konzentrieren, mit ihrem eigenen Garten und dem Hund dazu bekäme sie sicherlich keine Langeweile, aber Doro liebte ihren Beruf. Schon seit sie denken konnte, war das Herumstreunen in der Natur für sie das wichtigste gewesen und daran hatte sich nichts geändert, obwohl sie schon jenseits der fünfzig war.

„Jetzt noch ein paar Besonderheiten für Frühlingsschalen und dann kann ich für meine gute Frau Krause nach einigen schönen Schleifenbändern sehen. Steckdraht grün und Wickeldraht, noch einige Weidenkörbchen und dann kommen schon die Schnittblumen an die Reihe.“

Doro war sehr zufrieden mit ihrem Einkauf, sie hatte einige Raritäten gefunden, die nicht auf der Einkaufsliste standen, die aber sehr wahrscheinlich zu allererst verkauft werden würden, schließlich kannte sie auch ihre Kundschaft.

Nachdem nun auch die letzten Schnittblumen gekauft und in dem Transporter verstaut waren, warf Doro einen Blick auf ihre Uhr, es war noch nicht einmal Zehn und nun würde sie sich ihren wohlverdienten Kaffee genehmigen, das hatte sie sich im Laufe der Jahre einfach angewöhnt. Es war ihr auch egal, was Herr oder Frau Krause davon hielten, wenn sie wüssten, dass Doro sich jedes Mal eine halbe Stunde Zeit zum Früh-stücken abzwackte.

„Egal, könnten auch mal selber fahren!“

Schon steuerte sie die Cafeteria an und winkte Fritz hinter der Theke zu, sie schob sich hinter einen freien Tisch und sah sich um.

„Keiner da, den man kennt, auch gut, vielleicht hat Fritz nachher ein wenig Zeit zum Plaudern.“

Fritz war der Besitzer der kleinen, aber meist recht gut besuchten Cafeteria am Großmarkt, er war immer gut gelaunt und kam häufig auf ein paar Worte zu seinen Stammgästen an den Tisch. Doro wusste nicht, ob sie zu den Stammgästen zählte, manchmal kam sie nur einmal im Monat, im Winter meistens gar nicht, aber das war ihr egal, sie mochte Fritz und seinen Humor, der Kaffee schmeckte gut und die Brötchen waren immer frisch und gut belegt.

Schräg vor ihr, in einer Ecke hing ein Fernseher von der Decke, wo meistens eine aktuelle Sendung lief: Nachrichten, Sport oder Frühstücksfernsehen, so auch heute, ein Bericht über den Klimawandel und die dahinschmelzenden Gletscher. Der Ton war zu leise, so- dass man nur die Bilder anschauen und die Untertitel lesen konnte, aber bevor Doro sich darauf konzentrieren konnte kam die Bedienung und fragte nach ihren Wünschen.

„Oh, ich dachte Fritz hätte ...  nah ist auch egal, ich bekomme einen großen Pott Kaffee und ein belegtes Brötchen mit gekochtem Schinken.“

„Sofort“, kam die Antwort und Doro schaute statt zum Fernseher der Bedienung hinterher, die noch weitere Bestellungen von anderen Tischen mitnahm und flink wieder zur Theke eilte. Dort machte sie sich zu schaffen und kam in recht kurzer Zeit wieder an ihren Tisch zurück, wo sie Doro die gewünschten Dinge servierte. Plötzlich hielt sie inne und starrte wie paralysiert auf den Fernseher. Sie wurde kreideweiß, die Augen starrten groß und kugelrund und ihr Atem stand still.

Auch Doro schaute jetzt auf den Bildschirm, um zu sehen, was dort so schrecklich war. Jetzt war ein Bericht von irgendeinem Großbrand an der Reihe, die Feuerwehr war am Löschen, eine große Leiter ausgefahren, Männer hielten die Schläuche mit Löschwasser fest in den Händen. Die Bilder sprachen für sich, sie brauchten keinen Ton.

Die Bedienung stand immer noch an Doros Tisch mit schreckgeweiteten Augen, unfähig sich zu bewegen  oder etwas anderes zu tun.

„Was ist mit ihnen? Sie können sich ruhig einen Moment zu mir setzen, Fritz wird ihnen schon nicht den Kopf abreißen, mein Gott, sie sind ja schneeweiß!... wenn sie wollen, trinken sie ruhig einen Schluck von meinem Kaffee.“

„Das ist nett, danke, aber das darf ich nicht annehmen, es tut mit leid, doch die Bilder, das Feuer!“

Jetzt kamen Tränen aus ihren Augen gelaufen, sie ließ sich auf den Stuhl neben Doro sinken und hielt sich die Hände vor das Gesicht. Doro kramte ein Tempo aus ihrer Tasche und reichte es ihrer Nachbarin.

„Hier, nehmen sie bitte.“

„Danke, sie sind sehr nett, entschuldigen sie bitte.“

Sie schniefte heftig in das Taschentuch, stand dann auf und verschwand schnell in Richtung Küche.

Doro trank ihren Kaffe, aß Ihr Brötchen und winkte Fritz zum Bezahlen, von der Bedienung war noch nichts zu sehen. „Hat sie eine Phobie gegen Feuer?“

„Ja“, meinte Fritz, „so kann man das auch sagen, ihr Haus ist abgebrannt und jetzt geht ihr alles was mit Feuer zu tun hat, auf die Nieren. Aber es ist nun mal zur Gewohnheit geworden, dass hier jeden Morgen die Nachrichten zu sehen sind. Ich kann nur hoffen, dass es nicht zu oft irgendwo auf der Welt brennt, denn Kathi ist eine gute Kraft, die möchte ich nicht verlieren.“

„Ja, und sie hat ein angenehmes Wesen, soweit ich das in der Kürze beurteilen kann, ... seit wann arbeitet sie bei dir, ich habe sie noch nie hier gesehen?“

„Sie hat schon das Weihnachtsgeschäft mitgemacht, aber da du ja in deinem Winterschlaf warst, hast du sie natürlich noch nicht gesehen.“

„Winterschlaf ist beendet, ab sofort wirst du mich wieder öfter sehen .... Aber wann und wie ist das mit ihrem Haus passiert?“

„Irgendwann letztes Jahr im Sommer, das ganze war recht seltsam und Kathi redet nicht sehr gerne darüber, aber Halt, du kommst doch aus der Eifel, dann hast du es damals bestimmt mitbekommen. Das Feuer muss ganz bei euch in der Nähe gewesen sein. Das hat bestimmt in allen Zeitungen gestanden und wenn du keine bekommst, hast du es bestimmt in eurem Blumenladen gehört oder bei euch im Dorf, da wird doch noch getratscht.“

„Allerdings und das nicht zu knapp, wenn bei uns einer im Unterdorf auf den Arm gefallen ist, dann hat der im Oberdorf schon einen mehrfachen Trümmerbruch, soviel wird da immer herumgequatscht und darum gebe ich nichts darauf.“

Aber plötzlich fiel Doro der schöne Sonntagmorgen wieder ein und sie konnte in ihren Gedanken die Qualmwolken in Richtung Himmel steigen sehen. „Wenn du vom Feuer in der Waldstraße sprichst, den Qualm davon habe ich sogar selbst gesehen, Sonntagsmorgens war es, als wir mit unserem Hund unterwegs waren. Irgendwie hat es damals auch meine Ruhe zerstört, als dann auch noch das Schrillen der Sirenen zu uns rüber wehte sind wir weitergegangen. Sehen konnten wir ja sowieso nichts, dazu war alles zu weit weg und hören auch nur, weil der Wind aus der richtigen Richtung kam ....“

Plötzlich verfiel Doro in ein stilles Grübeln, sie schloss die Augen. „Wie hieß die bloß noch“, sie  ging in Gedanken eine ganze Reihe von Namen durch, „verflixt, ich komme noch drauf, irgendwas mit Schmidt war da.“

„Ja genau, Kleinschmidt heißt Kathi mit Nachnamen.“

„Und Mattias heißt ihr Sohn“, ergänzte Doro.

„Woher wissen sie das?“

Kathi war mittlerweile wieder aus der Küche aufgetaucht, hatte unbemerkt von den beiden ihre Arbeit wieder aufgenommen, stand jetzt hinter Doro und starrte sie entgeistert an.

„Hoffentlich muss sie nicht  wieder weinen“, konnte Doro nur denken, als Kathi wiederholte,  „Woher wissen sie, dass mein Sohn Mattias heißt, ich weiß genau, dass das in keiner Zeitung drin stand!“

Kathi runzelte die Stirn und ihr Blick wurde vorwurfsvoll.

Doro war einen kleinen Moment regelrecht erschrocken, jetzt musste sie sich räuspern, um antworten zu können.

„Meine Tochter hätte seine Klassenlehrerin auf der Grundschule werden sollen, es ist ihre erste eigene Klasse und daher war sie recht aufgeregt und hat mir alles erzählt was sie wusste.“

„Sehr viel kann das ja nicht gewesen sein“, brummte Kathi und hätte sich zurückgezogen, hätte Fritz ihr nicht seinen Arm um die Schultern gelegt und sie an seine massive Brust gedrückt.

„Doro ist okay, die kenne ich schon eine kleine Ewigkeit, die erzählt keinen Quatsch herum. Aber da kann man mal wieder sehen, wie klein die Welt doch ist."

„Es ist mir egal, im Grunde genommen tappe ich selbst immer noch im Dunkeln und habe keine Ahnung, was eigentlich genau passiert ist, jeden Abend liege ich im Bett und bin immer weiter am Grübeln, wenn Mattias nicht wäre, wüsste ich nicht was ich getan hätte. Wir hatten so schöne Pläne gehabt und alles schien so toll zu laufen und auf einmal stand ich vor einem Scherbenhaufen.“

Kathi fing wieder an zu schniefen und Fritz drückte sie noch einmal feste an sich.

„Was hilft`s Mädchen, das Leben geht weiter, sei froh, dass du deinen Sohn hast, der gibt dir Kraft und der braucht dich.“

„Das stimmt, jetzt lass mich los, ich muss was tun, um wieder auf andere Gedanken zu kommen, außerdem laufen deine Gäste gleich fort, weil sie nichts mehr zu essen und trinken bekommen.“

Kathi riss sich los und ging zum Bedienen in eine

andere Ecke des Lokals.

„Tapferes Mädchen“, meinte Fritz

„Was ist eigentlich mit ihrem Mann geschehen, es hieß damals, der sei verschwunden, ist der wieder aufgetaucht?“

„Nein, ist er nicht und das ist wahrscheinlich das schlimmste an der ganzen Geschichte, es gibt keine Spur von ihm und auch keine Leiche. Es gab heiße Spekulationen über Selbstmord, manche meinten auch, er habe sich ins Ausland abgesetzt.  Kathi ist völlig ratlos, sie will von alledem nichts hören. Doch sie steht wirklich beschissen da, bei Selbstmord bezahlt keine Lebensversicherung und ohne Leiche kann man sowieso nichts machen. Zu allem Übel wird Brandstiftung vermutet, sodass auch die Feuerversicherung nichts bezahlt.“

„Scheiße", meinte Doro aus tiefstem Herzen, „zum Glück ist sie wenigstens bei dir gut aufgehoben.

So, und jetzt muss ich auch weiter, sonst kriegen meine Krauses noch einen Anfall und meinen mir wäre in der großen Stadt etwas passiert. Außerdem wartet mein Hund auf mich.“

„Tschüss Doro bis zum nächsten Mal.“

„Machs gut Fritz, bis bald.“

Auf dem Heimweg hatte Doro Schwierigkeiten sich auf den Verkehr zu konzentrieren, das Bild von Kathi neben Fritz wollte nicht aus ihrem Kopf. Kathi hatte so klein und zerbrechlich ausgesehen neben ihrem Arbeitgeber. Natürlich war es keine Kunst neben dem zwei-Zentner-Fritz klein zu wirken, seine bullige Gestalt ließ fast jeden neben ihm schrumpfen.

Nein, bei Kathi war es noch etwas anderes gewesen, natürlich tat die Frau ihr leid, sie konnte kaum älter als ihre eigene Tochter sein und hatte so ein klares Gesicht mit ausdrucksvollen blauen Augen, die langen blonden Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden gewesen, ein Vergleich mit dünnem chinesischem Porzellan kam ihr in den Sinn.

Schon wieder musste Doro bremsen, weil der Vordermann plötzlich ohne Blinker und ersichtlichen Grund die Spur wechselte.

„Mist“, murmelte sie vor sich hin, „ich darf nicht so heftig in die Eisen gehen, sonst poltern meine Blumen hinten durcheinander und der ganze Verdienst ist dahin.“

 

Nachmittags kam Viola.

„Ich habe uns ein Stück Kuchen mitgebracht, kochst du uns eine Tasse Kaffee dazu, dann decke ich schon mal den Tisch.“

„Ich glaube, ich würde lieber einen Tee trinken, ich hatte heute mein zweites Frühstück im Blumengroßmarkt und du weißt doch, dass ich nicht zu viel Kaffee trinken mag.“

„Stimmt ja, heute ist ja wieder Donnerstag und die Mama geht wieder arbeiten, wie war es denn?“

„Mach dich bloß nicht lustig über mich, du weißt, dass mir meine Arbeit Spaß macht; wer rastet der rostet...Rate mal, wen ich in Köln kennen gelernt habe.“

„Wie soll ich raten können, wen du kennen gelernt hast, erzähl es mir einfach.“

Und Doro erzählte ihrer Tochter von ihrer Begegnung mit Kathi Kleinschmidt.

„Seltsam, eigentlich ist mir die ganze Geschichte nie so recht aus dem Kopf gegangen, immer wenn ich mit

Kelly unterwegs bin und in Richtung Waldstraße sehe, muss ich an den Brand denken. Früher sind mir die Häuser dort nie aufgefallen, aber jetzt, wo das Laub von den Bäumen ist, kann man die Dächer genau erkennen, ich könnte mir vorstellen, dass es eine schöne Wohngegend ist.“

„Ja, für dich wäre es das bestimmt, du hättest jede Menge Natur um dich herum, vielen anderen wäre es zu einsam dort, es ist zwar nur ein Kilometer bis zur Stadt, aber ohne Auto ist man recht aufgeschmissen.“

Das Teewasser kochte und Doro goss es über die Teekräuter, ein aromatischer Duft stieg auf, den sie genießerisch einatmete.

„Und der Mann ist noch immer verschwunden?“

„Das habe ich dir doch erzählt, die arme Frau steht richtig beschissen da.“

„Wie geht es dem Jungen?“

„Ich habe keine Ahnung, über ihn haben wir gar nicht weiter gesprochen, wie soll es ihm schon gehen, gut bestimmt nicht.“

 

 

 

 

 

Gründonnerstag, der 20. 3.

 

 

Frau Krause staunte, sie hatte gemeint, Doro in all den Jahren wirklich gut kennengelernt zu haben und es hatte ihr schon leid getan, dass sie ihre Angestellte ausgerechnet heute wieder nach Köln schicken musste, es war der Kampfeinkaufstag vor Ostern. Sie wusste genau, wie sehr Doro solchen Stress hasste und dass sie all ihre eigenen Einkäufe für ihren eigenen Haushalt schon während der letzten Woche erledigt hatte. Aber es blieb leider nichts anderes übrig, all die Besonderheiten, die eigentlich für Ostern gedacht waren, waren schon verkauft worden und die wunderschöne Medinilla, die Doro zur Deko gedacht hatte, hatte sie erst gar nicht in ihren kleinen Blumenladen stellen brauchen. Schon während des Ausladens hatte sie eine gute Kundin erspäht und strahlend mit nach Hause genommen.

Sie könnte ihren Schnittblumen und Pflanzenbedarf auch bei ihren fahrenden Händlern decken, die täglich vorgefahren kamen, aber dort war die Auswahl natürlich sehr begrenzt und auch die Preise wesentlich höher. Kopfschüttelnd ging Frau Krause zu ihrem Mann, „ich glaube sie ist tatsächlich gerne gefahren, ich hatte mir schon jede Menge Argumente zurechtgelegt um sie bei guter Laune zu halten, alles umsonst.“

„Sei doch froh...“, meinte ihr Mann, „morgen haben wir Zeit in Ruhe alle Bestellungen fertigzumachen und einen ganzen Teil kann ich auch schon ausliefern und die paar Stunden am Samstag kriegen wir dann auch gut hin. Bis zum Muttertag haben wir es dann wieder etwas ruhiger.“

 

Doro war tatsächlich in bester Laune unterwegs, sie dachte gar nicht an den Verkaufstrubel, der ihr bevorstehen würde, ihre Gedanken waren bei der zierlichen blauäugigen Kathi, die sie so hilfesuchend angesehen hatte, sie hoffte sie heute wiederzusehen.

Der Betrieb im Blumengroßmarkt holte sie in die Wirklichkeit zurück, verdammt, was war hier nur los. Doro hatte schon Schwierigkeiten einen Einkaufswagen zu bekommen.

Besondere Topfpflanzen wollte Frau Krause haben, die stellten zum Glück kein Problem dar, zu den schon vorbestellten, sah sie einige schöne Phalaenopsis, die sich immer gut verkaufen ließen, als Farbkontrast kaufte sie zwei Paletten kleine blaue Lysianthus.

„Wie kleine blaue Ostereier“, dachte Doro und zog zufrieden in die Schnittblumen Abteilung. Gerbera standen zuoberst auf ihrer Liste und da die immer im stabilen Karton verpackt waren, konnte man die anderen Bunde gut darauf stapeln. Doro griff nach einem Karton herrlicher dunkelorange Gerbera mit schwarzem Auge.

„Stopp, das sind schon meine!“ 

„Sumpfschnepfe“, dachte Doro, als sie den erzürnten Blick der Frau sah, die ihre Beute nun triumphierend auf ihren eigenen Wagen lud. Nach einigem Suchen fand sie noch einen Karton mit einer reinweißen, sehr großblütigen Sorte und einer, deren Farbe ins Kirschrote ging. Passend dazu fand sie gelborange Cathamus und duftende weiße Longiflorum-Lilien.

Weil Ostern war nahm sie noch einen Bund ausdruckvoller rosa Rubrum-Lilien.

„Da wird Frau Krause zwar wieder wegen der Staubbeutel meckern, aber hoffentlich lässt sie sie dieses Mal dran, sie gehören einfach zum Ausdruck dieser Blume, und wer Angst wegen eventueller Farbflecke von den Dingern hat, kann sie auch noch selber abknipsen.“

„Was habt ihr mit dem Schleierkraut gemacht, das ist ja heute schweineteuer!“

„Angebot und Nachfrage“, meinte der angesprochene Händler, „ich kann auch nichts dafür, dass es so teuer ist, meines kommt aus Israel, ist aber auch Spitzenqualität.“

Seufzend lud Doro das kostbare Zeug zu dem übrigen Beiwerk, das sie bei diesem letzten Händler noch gekauft hatte und schob ab zum Wagen, um ihre Beute einzuladen.

Nun stand nur noch der ersehnte Besuch der Cafeteria an, sie war gespannt darauf Kathi wiederzusehen und ganz nebenbei hatte sie auch etwas Hunger.

Laut war es, die Hektik der Markthalle hatte sich in das Lokal übertragen, es war zwar kaum voller als sonst, aber wesentlich lauter.

Da war Kathi ja, mit sicherer Hand schwenkte sie ihr Tablett um die hektischen Menschen herum, einer war ganz plötzlich aufgestanden und hatte seinen Stuhl beinahe schon in Kathi hineingeschoben, aber sie schaffte es, mit einem eleganten Schlenker die vollen Kaffeetassen und sich selbst um den Gast herumzumanövrieren, noch nicht einmal ihr Lächeln hatte sie dabei verloren. Doro suchte ihren Blickkontakt und für eine winzige Sekunde, beim Erkennen, kam ein anderer Ausdruck in ihre Augen. Aber sie nickte, bediente fertig und kam schon zu Doro herübergeeilt.

„Hektisch heute?“

„Ja, sicher, aber das gehört auch dazu. Was kann ich ihnen bringen.“

Doro bestellte die übliche Tasse Kaffee, groß und mit Milch und ihr halbes Schinkenbrötchen, sie hatte sich vorgestellt mit Kathi in ein Gespräch kommen zu können und nicht daran gedacht, dass heute kaum der richtige Tag dazu war. Zum Glück hatte sie ihre Visitenkarten eingesteckt, die ihr Viola irgendwann einmal zum Geburtstag geschenkt hatte.

Denn als Kathi  mit der Bestellung kam, war sie sofort auch schon wieder verschwunden.

„Vielleicht mag sie sich auch gar nicht mit mir über ihre Situation unterhalten, geht mich ja auch gar nichts an. Weiß ich alles, aber sie geht mir halt einfach nicht aus dem Kopf heraus. Wenn sie in diesem Trubel heute keine Zeit für mich hat, gebe ich ihr einfach meine Telefonnummer, da kann sie mich anrufen, wenn sie möchte.“

Es kam Doro nicht in den Sinn, dass Kathi vielleicht gar keine Lust hatte mit ihr sprechen zu wollen, sie hatte es jetzt so für sich entschieden. Im Laufe der Jahre hatte sie es jedes Mal hinterher bereut nicht auf ihren Bauch gehört zu haben.

„Schließlich habe ich schon ein paar Jahre mehr Lebenserfahrung und es tut gut über seine Schwierigkeiten zu sprechen, egal mit wem.“

So ganz nebenbei sah sie es auch wie eine Fügung an, Kathi kennengelernt zu haben. Doch jetzt hatte sie ihr Frühstück verputzt, ohne dass Kathi noch einmal in ihre Nähe gekommen wäre, so blieb ihr jetzt nichts anderes übrig, als ihr zum Bezahlen zu winken.

Sie kramte in ihrer Geldbörse und zog schnell auch eine Visitenkarte heraus, die sie mit ihrer Handfläche verbarg.

„Frau Kleinschmidt ...“, fing Doro an, plötzlich unschlüssig, wie sie überhaupt mit der Frau sprechen wollte.

„Nein, bitte sagen sie einfach Kathi, wie alle anderen auch.“

„Ja, natürlich ... gerne, haben sie nicht Lust an Ostern zu uns zu kommen, meine Tochter Viola würde sich auch freuen, sie und ihren Sohn kennenzulernen. Das Wetter soll zwar sehr schlecht werden, aber wir würden es uns einfach gemütlich machen, Kelly freut sich auch über jeden Besuch.“

Jetzt war Doro einfach herausgeplatzt und etwas verlegen, was würde Kathi denken. Sie kannten sich doch gar nicht, ob sie diese Einladung überhaupt akzeptieren würde, hoffentlich habe ich mich jetzt nicht doch noch lächerlich gemacht. Vor allen was würde Bert sagen, er wusste noch von gar nichts. Doro hatte nur mit Viola über ihre Gedanken gesprochen. Bert war ein recht gemütlicher Mensch, ihm war fast alles Recht, was seine Frau so anstellte, solange es ihn nichts anging und seine sonntägliche Ruhe störte.

Viola würde sich schon freuen, das war ihr klar, jedoch wusste sie nicht, welche Pläne ihre Tochter für die Feiertage hatte.

So schob Doro die Visitenkarte über den Tisch.

„Hier ist meine Adresse und meine Telefonnummer, sie können es sich gerne überlegen und mich einfach anrufen, wir sind zu Hause und wenn nicht, sprechen sie einfach auf Band.“

„Danke, für die Einladung, ich weiß nicht, was Mattias dazu sagt, oder ob er sich schon mit Freunden verabredet hat, aber wer ist Kelly, wenn ich fragen darf?“

„Kelly ist unser Hund, sie haben doch hoffentlich keine Angst vor Hunden?“

„Nein, nein. Es war der Wunsch meines Mannes und meines Sohnes selbst einen Hund zu bekommen, wenn ... es wäre ihr Wunsch gewesen.“ 

Kathi schluckte, „ich melde mich bei ihnen, vielen Dank und frohe Ostern.“

„Ja danke, ihnen auch frohe Ostern, bis bald.“

Lächelnd verließ Doro den Gastraum und ging Richtung Wagen, jetzt war es an Kathi den nächsten Schritt zu tun und sie würde hoffentlich  ihre Gedanken wieder in eine andere Richtung lenken können.

 

Auch Viola, die nachmittags wieder mit einem Stück Kuchen erschien, sagte lachend: „Du wirst es niemals bleiben lassen können, die Menschen lenken zu wollen. Das hat doch schon bei mir und meinem Bruder nicht funktioniert, aber es ist schon okay, wenn sie sich nicht meldet, weißt du woran du bist!

Und nun schau mal, was ich gestern bekommen habe, einen echten Elch!“

Lachend zog sie einen kleinen, knuffigen Plüschelch aus der Tasche.

„Woher hast du den denn, der ist ja niedlich, aber ich dachte doch, dass du aus dem Alter heraus wärst.“

„Gestern war Elchalarm in der Stadt, das SWR-3-Team war am Platz an der Linde und hat jede Menge von den Knuffis verteilt, da war vielleicht ein Betrieb. Aber auch richtig Stimmung, trotz Kälte und Regenwetter, ich habe schon lange, so einen Elch haben wollen. Der kommt jetzt hinten in mein Auto und soll ein Glücksbringer sein.“

Jetzt dämmerte es auch Doro, „stimmt ich habe im Radio davon gehört, die sind in ganz Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg herum am Fahren und am

Verteilen.“

„Genau, schau, so sieht er aus, richtig niedlich, zuerst wollte ich ihn eigentlich Oma Weber schenken, weil ich die lange nicht besucht habe und die sich bestimmt über ein neues Tier freuen würde, aber es tut mit leid, den kann keiner haben, außer mir.“

Liebevoll rieb Viola das Stofftier an ihrer Backe.

„Oma Weber hat doch gar keinen Bezug dazu, die würde sich sicher mal wieder über deinen Besuch freuen, aber so ein Plüschtier, ich weiß nicht ... mit ein paar Blumen machst du ihr mehr Freude.“

„Kauft sie immer noch jedes Wochenende ihren Nelkenstrauß?“

Frau Weber war eine ältere Dame, die in entfernter Nachbarschaft wohnte und die früher schon, als ihr Mann noch lebte, sich jedes Wochenende ans Blumengeschäft vorfahren ließ, sich lange und breit alle frischen Schnittblumen vorführen ließ und sich jedes Mal wieder für Nelken entschied. Über Doro hatte sie auch Viola kennengelernt und oft zu sich eingeladen. Sie hatte keine eigenen Kinder und sah in den beiden sicher so etwas wie Kind- und Enkelersatz.

Nachdem ihr Mann verstorben war, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Weg zum Blumenladen zu Fuß zu machen. Das wurde im Laufe der Jahre immer seltener und stattdessen durch telefonische Bestellungen abgelöst. Doro fuhr dann nach Feierabend bei Frau Weber vorbei und brachte das Bestellte – natürlich fast immer einen Nelkenstrauß.

„Die halten einfach am längsten, ich weiß gar nicht, warum die meisten Menschen immer nur auf Rosen stehen, die sind doch undankbarer.“

Und stets fragte sie nach Viola oder ließ Grüße übermitteln.

„Lass dich mal wieder bei ihr sehen, du weißt doch, wie sehr sie an dir hängt.“

„Ja, das muss ich unbedingt tun, aber wen Oma Weber in den Händen hat, den lässt sie so schnell nicht gehen.“

„Es ist halt eine alte Frau und sie ist schon so lange alleine, ist schon scheiße, wenn man alt wird und keinen mehr um sich herum hat.“

„Ja, Mama, aber was macht eigentlich mein lieber Bruder Alexander, von dem habe ich auch schon seit einer Ewigkeit nichts gehört.“

„Ich dachte wir machen an Ostern großes Familientreffen mit leckerem Menü als Mittagessen.“

„Wenn er dann rechtzeitig aus dem Bett kommt, könnte es ganz nett werden.“

Alexander war ihr Sorgenkind gewesen, zweieinhalb Jahre jünger als seine Schwester, hatte er immer in ihrem Schatten gestanden. Viola fand immer und bei allen Leuten Beachtung, erntete jedes Mal Kommentare mit süß und niedlich, obwohl sie es hasste.

Alex stand immer nur daneben, über ihn wurde selten ein Wort verloren, er war halt nur der kleine Bruder.

Auch später in der Schule machte er Doro große Sorgen, er war zwar intelligent, aber faul und machte immer nur das Nötigste. Mit Ach und  Krach schaffte er seinen Realschulabschluss und machte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Er schien furchtbar neidisch auf seine Schwester zu sein, Doro und Bert redeten jahrelang auf ihn ein, dass alles an ihm läge und dass er nur ein bisschen mehr lernen bräuchte.

All den Mist, den weder Alexander, noch Doro hören und sagen wollten. Bis Alex schließlich in die Immobilienbranche hineinrutschte und nun seit einigen Jahren erfolgreich Häuser und Wohnungen vermittelte.

Er konnte meist lange schlafen, musste aber abends noch spät unterwegs zu Kunden sein.

Auch er hatte inzwischen eine eigene Wohnung, wechselnde Freundinnen und ließ sich recht selten zu Hause blicken. Doro musste sich damit abfinden, wichtiger war ihr, dass ihre Küken gut geraten waren und ihren Platz im Leben gefunden hatten.

 

 

 

 

Donnerstag, der 10.4.

 

 

Ostern war gekommen und vergangen, das Wetter war beschissen, der Winter war mit Schnee, Regen und Sturm zurückgekehrt. Die üblichen Spaziergänge mit Kelly waren nass und selbst Kelly schien keine rechte Freude daran zu haben. Doros Ostermenü wurde ein voller Erfolg, von mittags bis in den späten Abend saß sie mir ihrer kleinen Familie zusammen. Nach dem

Essen wurde erzählt und auch Peinlichkeiten von früher wurden endlich nur noch belacht. Mit einem Ohr hörte Doro auf das Telefon und war sehr erleichtert, dass alles ruhig blieb.

Auch montags wäre Kathis Besuch nicht gerade passend gewesen, Bert zog sich vor den Fernseher zu seinen geliebten Sportsendungen zurück und meinte, er hätte während der letzten Tage genügend Unterhaltung gehabt und er bräuchte jetzt seine Ruhe. Nach Doros Meinung hätte ihm selbst ein wenig Sport besser getan, als nur träge auf dem Sofa zu liegen und den anderen zuzusehen, die sich abrackern mussten.  Dreißig Ehejahre hatten sie gelehrt, dass jeder Kommentar sinnlos wäre, so schnappte sie sich Kellys Leine und lief im Schneegestöber eine große Runde mit dem Hund.

Sicher war ihr Überfall auf Kathi zu früh gewesen, wie konnte sie auch nur auf die Idee kommen, dass sie andere Frau unbedingt mit ihr reden sollte, am besten zog sie einen Schlussstrich und vergaß die ganze Geschichte. Warum war sie auch immer nur der Meinung anderen helfen zu müssen und warum nur fiel es ihr so schwer mit ihren Gedanken davon loszukommen.

Die Wochen nach Ostern wurden erwartungsgemäß ruhig, sie kamen mit den Waren hin, die sie angeliefert bekamen, sodass Doro erst nach dreiwöchiger Pause wieder nach Köln zum Einkaufen fahren musste. Es stand eine größere Beerdigung an und Doro musste ihren Kopf zusammenhalten, um nichts zu vergessen. Sie hatte noch einmal umkehren müssen, um noch einen Karton mit Trauerkarten zu erstehen, einen Wunsch, den Frau Krause ihr noch schnell hinterher gerufen hatte. So war sie in Gedanken noch einmal ihre Bestellung am Durchgehen, als sie zum zweiten Frühstück die Cafeteria betrat. Nein, heute wäre es sogar ihr erstes Frühstück, denn sie hatte verschlafen und war zuhause nur dazu gekommen ihren Hund zu versorgen – eine Runde, damit Kelly Gelegenheit hatte ihr Morgengeschäft zu verrichten.

Fritz starrte sie entgeistert grinsend an, sodass Doro sich irgendwie fehl am Platz vorzukommen schien. Sie sah an sich herab.

„Oh scheiße, ich habe vergessen mich umzuziehen, das sind meine Arbeits- und Hundeklamotten.“

Irgendjemand hatte einmal gesagt, Doros Jeans wäre das Versuchsfeld einer tollwütig gewordenen Nähmaschine. Zuerst war sie beleidigt gewesen, schließlich hatte ihr gesunder Menschenverstand gesiegt, warum sollte sie eine Hose wegwerfen, die noch in irgendeiner Weise zu reparieren war?

Schließlich war es zu ihrem eigenen Stil geworden und so lagen verschiedene Lagen Flicken um ihre Knie und Oberschenkel und auch am Po hatte sie schon Flicken aufgenäht. Doro legte weder Wert auf Kleidung und Kosmetik, aber zumindest, wenn sie weg fuhr, zog sie sich eine heile Hose an und gab sich beim Hinausgehen am Spiegel ein okay.

„Willst du mit unseren Stadtstreichern Konkurrenz machen?“

„Könnte sein, dass deren Hosen besser sind als meine.  Komm Fritz, gib mir mein übliches Frühstück, das kann heute auch etwas größer ausfallen, ich habe heute morgen verschlafen, bin ohne etwas zu essen aus dem Haus, und jetzt knurrt mein Bauch. Den ganzen Morgen renne ich schon der verlorenen Zeit hinterher.“

Doro frühstückte zügig und in Gedanken, sie überlegte, ob sie auch wirklich alles eingekauft hatte, denn noch wäre die Gelegenheit das Vergessene nachzuholen.

Kathi lief an ihr vorbei und grüßte, bekam aber keine Antwort.

„Na, denn nicht“ ,dachte sie.

Als Doro das Lokal verlassen hatte, ging Kathi zu Fritz: „Habe ich sie jetzt beleidigt?“

„Wen?“  „Na, Doro natürlich.“

„Ich glaube sie war einfach nur in Gedanken, das hat sie schon mal, aber warum solltest du Doro beleidigen?“

„Weil sie mich zu Ostern eingeladen hatte und ich mich noch nicht einmal gemeldet habe. Sie hatte es so nett gemeint und ich hatte auch vor, sie wenigstens anzurufen, aber Gabriele meinte, dann würde bestimmt nur über das Feuer und meinen verschwundenen Mann geredet und es sei besser für mich, wenn ich einen Schlussstrich unter die ganze Geschichte ziehen und mein eigenes Leben leben würde.“

„Es hat noch nie gut getan, alles in sich hineinzufressen, du musst die Sache erst einmal richtig verarbeiten, bevor du einen Schlussstrich darunter ziehen kannst und da bist du noch weit von entfernt. Deine Gabriele liegt da ziemlich falsch.“

„Mag sein, aber sie hilft mir so viel, ohne sie wäre ich total aufgeschmissen, das weißt du auch, schließlich ist sie es, die jeden Morgen meinen Jungen versorgt und zur Schule bringt.“

„Das sagt ja auch keiner, natürlich weiß ich, wie sehr sie dir hilft, aber deswegen wirst du doch noch mit jemand anderem sprechen dürfen.“

„Klar doch, aber Tatsache ist, das ich Doro erst ein paar mal gesehen  habe, ich kenne sie kaum. Was hätte ich groß mit ihr sprechen sollen, alles nur weil ihre Tochter beinahe die Lehrerin meines Sohnes geworden wäre.“

„Zum Beispiel das und dann vielleicht auch, weil Doro den Brand auch selbst gesehen hat, aus großer Entfernung zwar, aber trotzdem. Dafür kenne ich sie lange genug und ihre Kinder, als die beiden noch klein waren, hat sie sie in den Ferien öfter mitgebracht. Entweder sind sie dann mit ihrer Mutter einkaufen gegangen

oder wenn ihnen zu langweilig wurde, haben sie sich dort hinten in die Ecke gesetzt und gemalt.

Doro musste auch immer sehen, wie sie Beruf und Kinder unter einen Hut bekam, glaube mir, die hat es auch nicht leicht gehabt.“

„Mein Gott, du nimmst sie ja total in Schutz, so kenne ich dich gar nicht. Aber wie war das, sie hat den Brand damals gesehen?“

„Ja, sie geht wohl immer mit ihrem Hund spazieren und da muss sie es aus der Entfernung gesehen haben.“

„Ich wusste ja nicht wo sie wohnt und habe ihre Visitenkarte gar nicht richtig beachtet, aber jetzt würde ich sie vielleicht doch ganz gerne besuchen, ich habe zwar nur etwas mehr als drei Monate dort gewohnt, aber in der kurzen Zeit ist mir die Gegend ans Herz gewachsen.“

Gleich nachmittags kramte Kathi das kleine Visitenkärtchen hervor und rief Doro an.

Doro freute sich, unterhielt sich eine Weile mit Kathi und lud sie für den nächsten Samstag zum Kaffeetrinken ein. Viola würde auch, zumindest kurz, dazukommen und Bert wäre beim Fußballschauen.

 

 

 

 

 

 

Samstag, der 12. 4.

 

 

Doro hatte schon alles vorbereitet, Tisch gedeckt und einen leckeren Kirschstreuselkuchen gebacken und füllte gerade die Kaffeemaschine, als sie ein Auto vorfahren hörte. Vorsichtig sah sie aus dem Küchenfenster zur Straße, dort parkte ein schnittiger BMW neueren Baujahres.

„Kathi?“,überlegte sie, als aus dem Wagen Kathi und ein kleiner Junge auf der Beifahrerseite ausstiegen. Doro ging zur Tür zum Öffnen, jedes Klingeln veranlasste Kelly zu wildem Bellen und das wollte sie gerne vermeiden. Trotzdem war der Hund schon an ihr vorbei, sobald sie die Haustüre einen Spalt öffnete, schnell ging sie hinterher und hielt Kelly an ihrem Halsband fest.

„Keine Angst, die tut gar nichts , sie freut sich nur und muss erst mal jeden beschnuppern ... Schön, dass sie den Weg gefunden haben.“

„Kein Problem, wir haben doch ein Navi.“

Jetzt erst wurde Doro auf die Fahrerin aufmerksam. „Au Scheiße", dachte sie, „die sieht ja aus wie ein Kunstwerk. Schick, wirklich sehr schick, aber unpassend für unser kleines Dorf .... Hoffentlich habe ich die Gute jetzt nicht angestarrt.“

Kathi rettete die Situation, indem sie das Kunstwerk als Gabriele Wegner, ihre beste Freundin, vorstellte und ihren Sohn, Mattias, der mittlerweile heftig von Kelly umwedelt wurde.

„Kommen sie doch bitte herein, es ist heute recht windig und frisch draußen.“

Doro ging rasch vor, um die Kaffeemaschine anschalten zu können und ihre Gäste kamen angeführt von Kelly langsam hinterher.

„Sie haben es hier aber sehr gemütlich und so schön ruhig, ganz anders als bei uns in der Stadt, nicht wahr, Kathi?“

Doro sah sich Kathis Begleitung genauer an, sie war wirklich sehr elegant und trug ein hellgraues Kostüm mit schmalem Rock, der kurz über den Knien endete, darunter blitzte ein Shirt mit Rosenmuster hervor, das ihre schlanke, große Figur perfekt betonte. Sie hatte ihre dunklen Haare streng aus den Gesicht gekämmt und zu einem Knoten gebunden. Ihr Make-up war zwar dezent, doch hier steckte sicher jahrelange Routine dahinter, um das ganze so wirken zu lassen.

Die Frauen zogen ihre Jacken aus und Doro nahm sie ihnen ab, um sie an ihrer Garderobe aufzuhängen.

„Ich hoffe es macht ihnen keine Umstände, dass ich Kathi begleitet habe, sie wäre ja auch mit dem Zug gefahren, aber das wäre recht umständlich gewesen.“

„Ja, das stimmt, da hätte ich sie schon vom Bahnhof abholen müssen, das wäre  kein Problem gewesen, wenn ich es gewusst hätte. Aber es macht mir gar nicht aus, dass sie mitgekommen sind, ganz im Gegenteil ...  bitte nehmen sie einfach Platz.“ 

Keiner setzte sich an den Tisch, Gabriele stand am Wohnzimmerfenster und schaute in den Garten und Kathi zog Mattias, der auf dem Teppich saß und mit Kelly spielen wollte, seine warme Jacke aus.

„Sie haben einen Kaminofen“, stellte Kathi fest, „daher ist es so gemütlich warm bei ihnen.“

Sie hing Mattias Jacke über einen Stuhl, trat vor den Ofen und rieb sich ihre Hände.

„So einen hatten wir in unserem Haus auch gehabt und zu dem Grundstück gehörte  ein richtiger kleiner Wald, da hätte mein Mann genügend Holz schlagen können, wir hatten uns alles so schön vorgestellt. Es wäre uns so viel lieber gewesen, Mattias auf dem Land aufwachsen zu sehen, die Stadt erscheint mir nicht das richtige für ihn, zu allem Übel kommt er auch mit seiner Klassenlehrerin nicht besonders zurecht – sie ist ein alter Knochen – sagt er immer.

Wollte ihre Tochter auch kommen, oder habe ich sie am Telefon falsch verstanden?“

„Viola wird auch noch kommen, das kann aber noch etwas dauern.“

Doro ging den Kaffee in der Küche holen und bat ihre Gäste noch einmal Platz zu nehmen und sich zu bedienen. Sie hatten gerade mit essen angefangen, als Kelly plötzlich wild mit dem Schwanz wedelnd zur Haustüre lief und Viola hereinkam.

„Schön, dass du so früh kommen konntest, hole dir etwas zu trinken und setze dich zu uns“, bat Doro ihre Tochter und stellte die Damen einander vor.

„Du bist also der Mattias“, fragte Viola den kleinen Mann der still vor seinem Stück Kuchen saß und mit Gabel und Streuseln kämpfte, „nimm doch dein Stück Kuchen einfach in die Hand, so geht das doch viel besser.“

Dankbar grinsend befolgte der kleine Kerl ihren Rat. „Mama sagt immer, ich müsse mich benehmen und mit Messer und Gabel essen.“

„Ja sicher, das tust du doch auch, aber es gibt auch schon einmal Ausnahmen.“

„Darf ich gleich wieder mit der Kelly spielen, Mama? Die ist so schön weich und kuschelig, so einen Hund hätte ich auch gerne.“

„Du weißt, dass wir in der Stadt keinen Hund halten können, aber du kannst jetzt mit ihr spielen.“

Gabriele beugte sich zu Viola und meinte: „Sie haben einen sehr interessanten Namen, Viola habe ich noch nie gehört, wie sind sie dazu gekommen.“

„Da müssten sie besser meine Mutter fragen, die hat einen Blumentick und muss alles mit botanischen Namen versehen. An meinen Namen habe ich mich inzwischen gewöhnt, danach bin ich schon oft gefragt worden, aber als mein Bruder geboren wurde und meine Mutter über einen Namen für ihn nachdachte, muss mein Vater ausgerastet sein, hat mit der Faust auf den Tisch geschlagen und gesagt: ‘ Mein Sohn wird Alexander heißen, dem gibst du keinen Blumennamen, wie hört sich denn das an’!“

Höflich lachte Gabriele über die alte Familiengeschichte.

„An welche Blume hat ihre Mutter nun bei ihnen gedacht?“

„An ein Veilchen“, erklärte Doro „Viola steht für Veilchen.“

„Wie passend bei ihren blauen Augen“,meinte Kathi, „Mattias, wenn du fertig gegessen hast, kannst du gerne aufstehen und zu Kelly gehen.“

„Ja Mama, können wir nicht etwas nach draußen gehen? Ich würde so gerne sehen wie schnell sie rennen kann.“

„Ich weiß nicht ...“, fragend sah sich Kathi um, „ich würde gerne, Fritz hat mir erzählt, dass sie gesehen hatten, wie unser Haus brannte ...“

„Das willst du doch nicht wirklich sehen, Kathi, ich bitte dich, lass die Erinnerung, begrab sie am besten, du tust dir nur weh damit.“

Gabriele war sehr fürsorglich mit ihrer Freundin.

„Außerdem glaube ich, dass ich dazu nicht die richtige Kleidung gewählt habe.“

Für einen Moment herrschte Schweigen, die Situation war etwas verlegen.

„Es ist heute recht frisch,“ meinte Doro „und auf der Höhe, von wo man die richtige Sicht hat, weht der Wind noch heftiger, sie könnten zwar gerne eine warme Jacke von mir haben, aber ich glaube nicht, dass sie Schuhe von mir anziehen könnten, denn mit denen, die sie anhaben, sind unsere Feldwege eine Tortur.“

Gabriele erschien ihr allerdings nicht die Person, die gerne in irgendeiner Art spazieren ging, außer zum Shoppen. Innerlich fluchte sie über Kathis Entschluss sich von ihrer Freundin fahren zu lassen, hätte sie doch nur erwähnt, dass sie kein Auto hatte. Sie hätte sie gerne vom Bahnhof abgeholt, oder man hätte auch eine andere Lösung finden können. Es gibt immer eine Lösung, jedoch alles in sich vergraben ist keine.

Auch Viola schien sich unwohl zu fühlen, jedenfalls stand sie vom Tisch auf, um nach dem Feuer zu sehen, sie legte ein dickes Stück Holz nach. Sofort stand Mattias bei ihr und sah neugierig zu.

„Wenn wir es warm haben wollen, müssen wir auch aufpassen, dass das Feuer nicht ausgeht.“

Viola sorgte dafür das Luft an das Holz kam und Mattias wollte alles genau erklärt bekommen.

„Wofür ist das denn hier?“ Viola erklärte ihm in einfachen Worten, wie der Ofen funktionierte.

„Ihre Tochter kann wirklich gut mit Kindern umgehen“, sagte Kathi, „und Mattias ist so wissbegierig, er kann einem richtige Löcher in den Bauch fragen, ich antworte ihm so gut ich kann, aber manchmal fehlt mir doch die Geduld. Ich kann ihm den Vater nicht ersetzen, mit seiner Lehrerin kommt er auch nicht sonderlich zurecht und einen besten Freund hat er auch nicht. Alle sind nett zu ihm, wahrscheinlich aber weil sie ihn bedauern, er ist wirklich ein unglücklicher kleiner Kerl. Doch die Sache ist nun einmal, wie sie ist, so leid es mir tut, wir hatten keine andere Wahl, als wieder in die Stadt zu ziehen. Gabriele hilft uns wo sie nur kann, sonst wüsste ich gar nicht, wie es weiter gehen sollte.“

„Ist doch selbstverständlich“,antwortete diese, „ ich würde dir auch noch mehr helfen, wenn du mich nur lassen würdest. Zum Glück kann ich mir meine Arbeitszeiten selbst einteilen und verdiene auch noch recht gut dabei.“

Auf Doros Frage kam heraus, dass das weibliche Kunstwerk Vertreterin für medizinische Hilfsmittel war, ihr Job brachte sie durch halb Europa, aber zum Glück könne sie auch viel von zu Hause aus mit ihrem PC regeln. Außerdem könne sie es so einrichten, dass sie morgens Mattias für die Schule versorgen würde, damit Kathi in Ruhe in ihrer Cafeteria arbeiten könne.

Während sich bei den Frauen nun doch langsam ein Gespräch entwickelte, kam Viola mit der Idee, Mattias auf eine Hunderunde mitzunehmen.

„Dann kommt er wenigstens ein bisschen an die frische Luft und kann sehen wie schnell Kelly flitzen kann, wenn sie will. Zum Glück ist der junge Mann hier auch für schlechtes Wetter gerüstet, nach dem Motto: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Kleidung.“

Doro warf einen schnellen Blick zu Gabriele, falls sie sich getroffen fühlen sollte von Violas kleinem Seitenhieb, so ließ sie sich kein bisschen davon anmerken. Kathi war einverstanden, und so zogen die beiden mit dem Hund davon, der sobald er etwas von Gassi gehen verstanden hatte, schon so aufgeregt herumsprang, dass er gar nicht mehr zu beruhigen gewesen wäre.

Doro nahm den Faden von vorher wieder auf.

„Wohnen sie denn jetzt zusammen?“

 Sie merkte in dem Moment, als sie die Worte ausgesprochen hatte, das die Frage auch peinlich wirken konnte. Aber Kathi zuckte mit keiner Wimper.

„Nicht ganz, unsere Wohnungen liegen direkt nebeneinander auf einer Etage, direkt unter dem Dach, stellen sie sich vor, es ist die Wohnung in der wir schon vorher gewohnt haben, bevor wir in die Waldstraße gezogen sind. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass die noch leerstand und ich wieder einziehen konnte.“

„Die selbe Wohnung, in der sie vorher mit ihrem Mann und Mattias gewohnt hatten, das stelle ich mir schwierig vor, hängen da nicht zu viele Erinnerungen dran?“

„Natürlich, das stimmt, aber es ist so am einfachsten. Wie gesagt, wir haben eine Art Arbeitsteilung, Gabriele hilft mir morgens mit Mattias, dafür übernehme ich das Kochen, ich komme in der Stadt ohne Auto aus und die Miete ist bezahlbar.“

„Falls ich einmal nicht frei machen kann, haben wir immer noch unsere Frau Weidenbach, die für mich einspringt, wenn ich Mattias nicht versorgen kann. Ich schaffe es nicht immer abends oder nachts von meinen Terminen rechtzeitig zurückzukommen. Letztens war ich noch in der Schweiz und das Geschäftsessen zog sich bis tief in die Nacht.“

Gabriele ließ keinen Zweifel an der Wichtigkeit ihrer Tätigkeit.

„So sehr es mir auch für meinen Sohn leid tut, dass er nun wieder in der Stadt leben muss, ich stand ja plötzlich vor den Nichts und war unheimlich erleichtert, als Gabriele mir erzählte, dass meine alte Wohnung noch frei sei. Wie hätte ich ohne ihre Hilfe weiterleben können?“

„Du hättest sicher eine andere Lösung finden können, vielleicht in dem Hotel in dem du vorher gearbeitet hattest.“

„Da hätte ich zwar wieder arbeiten können, ich hätte auch ein Zimmer haben können, doch was wäre mit Mattias gewesen. Mehr als ein kleines Zimmer mit Bad hätte ich nicht bekommen können und die Hauptarbeitszeit in der Gastronomie ist nun einmal abends. Dort hätte sich keiner um den Jungen kümmern können. Bei Fritz habe ich ab mittags frei, und danach Zeit für meinen Sohn und kann etwas leckeres für uns drei kochen.“

„Kennen sie Fritz eigentlich schon länger, oder erst seit dem sie für ihn arbeiten.“

„Man kennt sich untereinander in der Branche, auch wenn Fritz nur eine einfache Cafeteria hat, so gilt er doch als alter Hase und ist allgemein recht beliebt und ich habe meinen Beruf von der Picke auf gelernt, außerdem war mein Mann auch vom Fach, manchmal ist es wie eine große Clique.“

„Stimmt, das ist bei uns Gärtnern genauso, es ist eine gewisse Konkurrenz vorhanden, trotzdem hilft man sich gegenseitig, wenn es nötig ist.“

Doro war zufrieden, sie führte Gespräche am liebsten unter vier Augen, so konnte sie wirklich etwas über andere erfahren, bei größeren Gruppen fiel man sich so oft gegenseitig ins Wort und oft hatte sie das Gefühl, dass keiner wirklich zuhörte. Sie interessierte sich dafür wie ihre Bekannten leben, was sie dachten, wie sie handelten, gerne würde sie auch helfen, wenn sie konnte. Oft hatte sie allerdings schon die Erfahrung gemacht, dass die Leute zwar klagten, tatsächlich aber gar nicht geholfen bekommen wollten und im Grunde genommen auch gar nichts ändern wollten. Auch Kathi schien mit ihrer Situation soweit zufrieden, es klang alles ganz plausibel, was hätte sie auch anders machen können?

Einzig die Hintergründe des Ganzen lagen für Doro noch im Dunkeln, eigentlich wusste sie immer noch nicht genau, was sich genau abgespielt hatte. Wer wurde verdächtigt das Feuer gelegt zu haben, war es überhaupt Brandstiftung? Wo war Kathis Mann, war er immer noch verschwunden, oder hatte man irgendeine Spur von ihm gefunden, im schlimmsten Fall gar seine Leiche? Was war mit den verschwundenen Waffen? Doro hatte noch so viele Fragen im Kopf, aber sie wusste, dass heute nicht die richtige Zeit war, sie zu stellen. Sie hatte das Gefühl, das beide Frauen abblocken würden, sobald sie jetzt noch mehr hätte wissen wollen. Doch trotz ihrer spontanen Abneigung Gabriele gegenüber musste sie gestehen, dass sie ihre Sympathie gewonnen hatte, sie war hilfsbereit und allein das zählte.

„Sie sind die erste Gärtnerin, die ich bisher kennengelernt habe, ist ihnen der Beruf nicht zu anstrengend?“, wollte Gabriele wissen

„Sicher, manchmal schon, vieles ist aber eine Sache der Gewohnheit und Übung, außerdem gehe ich nur halbtags arbeiten, vorwiegend vormittags, natürlich muss man auch Spaß daran haben. Es ist mein Traumjob, ich könnte mir gar nicht vorstellen etwas anderes zu arbeiten.“

Gabriele schien noch mehr wissen zu wollen, aber inzwischen war Viola mit Mattias und Kelly wieder zurückgekommen.

Mattias war am Strahlen: „Kelly kann rennen wie der Blitz, die hättest du sehen müssen, Mama, die ist sooo schnell.“

Viola gab Mattias ein paar Hundeplätzchen in die Hand „Du darfst ihr ihre Belohnung geben, das hatte ich dir doch unterwegs versprochen, schau Kelly wartet schon.“
Aufmerksam wartend saß der Hund vor Viola und Mattias und hob eine Pfote.

„Wenn du sie gefüttert hast, kannst du dich verabschieden, wir müssen langsam wieder nach Hause, es tut mir leid, herzlichen Dank für den leckeren Kuchen, aber wir müssen wirklich langsam wieder aufbrechen.“ Während Kathi noch sprach, stand sie schon auf und streckte sich.

„Kathi hat recht, es war sehr gemütlich bei ihnen, herzlichen Dank, dass ich sie überfallen durfte, hat mich sehr gefreut.“

„Sie können gerne wiederkommen, auch ich habe zu danken für die nette Unterhaltung.“

Doro und Viola begleiteten die drei zur Türe, halfen in die Jacken und schauten noch dem Auto hinterher, das langsam wieder zurückfuhr.

Viola half ihrer Mutter den Kaffeetisch abzuräumen und erzählte von Mattias, der Junge sei gut erzogen und richtig wissbegierig, von seiner Sorte hätte ich gerne ein paar mehr in meiner Klasse, meinte sie noch.

„Aber als ich ins Wohnzimmer kam und diese Gabriele gesehen hatte, meinte ich schon, ich sei im falschen Film, sie wirkte so unpassend in unserem Häuschen. Doch anscheinend hat mich mein erster Eindruck getäuscht, du hast dich ja anscheinend ganz gut mit ihr unterhalten können, dann kann sie nicht so schicki-micki gewesen sein, wie sie ausgesehen hat.“

„Doch tatsächlich, eigentlich war sie ganz in Ordnung, ich hatte sie im ersten Moment auch falsch eingeschätzt. Eigentlich war der Nachmittag ganz nett geworden.“

 

 

 

Mittwoch, der 16. 4. 2008

 

 

Endlich war es Frühling geworden, die Luft war mild und die Vögel sangen überall, die Kirschbäume standen in Blüte und Doro war glücklich. Jetzt auch noch hier, inmitten all der schönen Natur mit ihren geliebten Blumen, arbeiten zu können fand sie toll, das machte einen Teil der Faszination ihres Berufes aus, dachte sie. Plötzlich waren die Menschen gut gelaunt, alles war beschwingt und machte Spaß, der Winter war vergessen.

„Frau Weber hat angerufen und gefragt, ob sie ihr auf dem Heimweg Blumen mitbringen könnten.“ Frau Krause kam zu Doro, die gerade einem Kunden Bodendecker und einen kleinen Bambus verkauft hatte. „Selbstverständlich, lassen sie mich raten, welche sie sich ausgesucht hat... Nelken?“

„Sie überlässt die Wahl ihnen, sie hat einfach nur angerufen und meinte sie würden schon das Richtige mitbringen. Sie kennen ja ihren Geschmack.“

„Genau deswegen, werde ich gar kein Risiko eingehen und irgendwelche Experimente machen, binden sie mir einfach einen Strauß Elegance-Nelken mit Schleierkraut und etwas Salal drum herum, das hält am längsten und die Frau ist glücklich.“

Schon wollte der nächste Kunde bedient werden, Doro war meistens für den Außenbereich zuständig, für alles, was nach draußen zu pflanzen war; während Frau Krause im Blumenladen Topf- und Schnittblumen versorgte. Herr Krause wiederum hielt sich vorwiegend auf dem gegenüberliegenden Friedhof mit der Grabpflege auf. Bei Bedarf  konnte jedoch jeder dem anderen helfen. Oft half Doro beim Anschneiden der frisch angelieferten Schnittblumen, oder auch auf dem Friedhof bei der Neubepflanzung.

„Haben sie noch keine Geranien?“ Wollte der Kunde wissen. „Nein, leider nicht, ab nächster Woche werden wir damit langsam anfangen, wir haben immer noch Nachtfrostgefahr und wenn ...“

Der Mann ließ Doro gar nicht ausreden „das Gartencenter hat aber schon Geranien, dann muss ich sie halt dort kaufen.“

„Die haben aber auch  ein Dach drüber und dadurch sind sie geschützt, wenn sie die jetzt rauspflanzen, können sie ihnen kaputtgehen, die Eisheiligen sind erst Mitte Mai, erst ab dem Zeitpunkt sollten keine Fröste mehr kommen.“

„So ein Quatsch“, meinte der Kunde und ging. Doro seufzte, es wurde immer schlimmer, ab Ostern wollten die Leute schon die Sommerblumen haben, viele die dann in die Baumärkte und Gartencenter kaufen gingen, kamen  später ein zweites Mal zu ihnen neu kaufen. Da die Gärtnerei von Krauses keine Gewächshäuser und auch sonst kaum Möglichkeiten hatte die Pflanzen vor Nachtfrösten zu schützen, fingen sie mit dem Verkauf erst ab Ende April an.

Und selbst dann wurden die Kunden entsprechend beraten.

Der nächste Kunde ließ sich kleine Rhododendren und Azaleen für seinen geplanten japanischen Garten zeigen und so ging es den restlichen Vormittag weiter. Gegen Mittag würde dann Herr Krause ihren Platz einnehmen und sie konnte sich um ihren Haushalt kümmern. So hatte es sich jetzt schon während der letzten dreißig Jahre eingespielt und bewährt.

Gegen Mittag fuhr sie mit den bestellten Blumen zu Frau Weber.

„Ich wusste doch, dass sie meinen Geschmack kennen. Die sind ja wunderschön, passend zum Frühling, ich weiß gar nicht, was die Leute immer gegen Nelken haben, die halten einfach am längsten. Jetzt müssen sie aber noch mit hineinkommen und meine anderen Blumen bewundern. Begonien in allen Farben, schauen sie nur, wie schön.“

Das war’s schon wieder, Doro mochte Frau Weber wirklich sehr gerne, aber wenn man einmal da war, musste man auch hereinkommen und war man gut im Haus, kam man so schnell nicht wieder weg. Da musste man sich noch einiges anhören und zeigen lassen.

Frau Weber war schon so lange alleinstehend und bekam so selten Besuch, die nutzte daher jede Möglichkeit zum Gespräch. Doro hatte Verständnis dafür, aber manchmal war sie, wie auf heißen Kohlen, weil sie wusste, zu Hause wartet Kelly.

Früher ging Viola fast regelmäßig zu ihrer „Oma Weber“, doch je älter sie wurde, umso seltener wurden diese Besuche.

Auch heute wurde Doro wieder durch das ganze Haus geführt und musste sich alles mögliche ansehen und bewundern. Vor allem die Neuerwerbung von Elatiorbegonien in verschiedenen Farben  „Blumen sind schließlich mein einziges Hobby, da darf ich mein Geld für ausgeben. Andere rauchen und trinken.“

 „Und sie haben ihr wundervolles kleines Blumenhäuschen, fast wie eine kleine Gärtnerei.“ Doro machte der alten Frau mit dieser Bemerkung eine große Freude, nichts anderes hatte sie hören wollen, trotzdem dauerte es fast eine halbe Stunde ehe sie weiterfahren konnte.

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, der 24. 4. 2008

 

 

Die Krauses waren nicht von ihrem altbewährten Schlachtplan abgewichen: Vor Ende April wurde in keinem Fall mit dem Verkauf der Sommerpflanzen begonnen, erst heute hatte Doro den Auftrag eine kleine Auswahl auf dem Blumengroßmarkt einzukaufen. Für den Mai war schon weitere Ware bestellt, die jedoch direkt zu ihnen geliefert würde.

Der Großmarkt schien förmlich aus den Nähten zu platzen, das Angebot war riesig, selbst auf dem Parkplatz hätte sie schon einkaufen können. Es war alles so reichlich vorhanden, dass sie aufpassen musste, nicht zu viel mitzunehmen, schließlich war die Nachtfrostgefahr immer noch nicht gebannt und Krauses geschützte Plätze waren begrenzt.

Geranien waren selbstverständlich, Margariten mussten sein, in verschiedenen Variationen, als Büsche und Stämmchen, in weiß und in gelb, kleine blaue Gänseblümchen waren auch gefragt. Bei Fuchsien und Petunien hielt sich Doro noch zurück, ebenso mit Knollenbegonien und Topfdahlien, die waren ihr noch gar zu gewagt, selbst kalte Zugluft im Plusbereich konnte hier Frostschäden verursachen.

Bei Gazanien in verschiedenen Gelb- und Orangetönen griff sie jedoch zu, passend dazu noch einige blaue Lobelien und verschiedene Tagetes. Beim Kaufen stellte sie in Gedanken schon immer die Pflanzen zu verschiedenen Arrangements zusammen und freute sich ihren Kunden entsprechende Empfehlungen machen zu können.

Sie verstaute ihre Ware im Transporter und  steuerte wie immer die Cafeteria zum zweiten Frühstück an, Kathi hatte sie sofort gesehen und winkte ihr zu, sogar ihre Zeichensprache verstand sie richtig und brachte ihr übliches belegtes Brötchen mit Kaffee.

„Guten Morgen und guten Appetit.“

„Herzlichen Dank“, antwortete Doro und sah Kathi aufmunternd an,

„Alles klar, bei ihnen?“

„Soweit schon, ... wie immer, ...ich muss mich bei ihnen nochmals entschuldigen, dass ich mich damals von meiner Freundin habe fahren lassen, ich hätte doch lieber alleine kommen sollen.“

Sofort wollte Doro abwehren und beschwichtigen, aber Kathi fuhr ihr ins Wort.

„Sie hätte nicht dazu gehört und ich wäre auch gerne mit Kelly und Mattias spazieren gegangen, sie wären dann sicherlich auch mitgekommen.“

„Ja, natürlich...“

„Und es hätte mir auch nichts ausgemacht, unser früheres Haus noch einmal zu sehen, oder das was davon übrig ist.“

„Man kann aus dieser Entfernung kaum etwas erkennen.“

„Und in einem Punkt haben sie ganz unbedingt recht, ich darf die Geschichte nicht in mich hineinfressen.“

Doro war ganz überrascht, es schien ihr, als habe Kathi schon auf sie gewartet, um ihr diese Sätze vorzutragen und da sie ihren vierzehntägigen Rhythmus in den letzten Wochen recht gut eingehalten hatte, schien ihr das recht gut möglich.

„Vielleicht wollte ich unbewusst sogar lieber, dass Gabriele mitfuhr, weil ich mir so sicher sein konnte, nicht allzu sehr auf die Brandgeschichte angesprochen zu werden, sie schützt mich regelrecht davor. Sie meint es wirklich gut mit mir und als sie erfuhr, dass ich nun doch noch zu ihnen fahren würde, ließ sie sich nicht davon abbringen, mich zu chauffieren.“

Endlich fiel Doro ein zu sagen: „Dann kommen sie halt ganz einfach noch einmal zu uns, sagen ihrer Freundin nichts davon und ich hole sie vom Bahnhof ab.“

„Das würden sie wirklich für mich tun?“

„Nein, nicht nur für sie, selbstverständlich bringen sie Mattias auch mit.“

Kathi strahlte sie an. „Selbstverständlich ... Mattias konnte tagelang immer nur von Kelly erzählen, wie sie durch die Felder gelaufen sei und von ihrer Tochter, er hörte gar nicht auf, von Tante Viola zu erzählen, die ihm so vieles erklärt hatte, er war so lebendig und glücklich, richtig verändert.“

„Wenn sie wollen und können, kommen sie gleich am nächsten Sonntag.“

Kathi war erleichtert, es war nicht nur Mattias Wunsch gewesen, Doro noch einmal zu besuchen. Seit ihrer ersten Begegnung, hatte sie sich von der älteren Frau angezogen gefühlt, sie strahlte etwas Beruhigendes aus und sie konnte zuhören. Sogar Viola hatte diese Ausstrahlung schon, obwohl sie wahrscheinlich jünger war als sie selbst. Kathi wusste, dass sie beiden Frauen ihre Geschichte würde erzählen können, anders als damals der Polizei und all ihren anderen Bekannten, von denen eigentlich nur noch Gabriele übriggeblieben war. Aber Gabriele war wieder ganz anders, sie erzählte selbst kaum etwas von sich selbst, von ihren Männerbekanntschaften, oder ihrer Familie und wollte auch nichts von ihren Sorgen hören, sie lebte nur für ihren Beruf, für ihre Karriere.

 

 

 

 

Sonntag, der 27. 4. 2008

 

 

Kathi hatte sich auf diesen Tag gefreut, wie sie sich schon lange nicht mehr auf irgendetwas gefreut hatte. Am liebsten hätte sie Mattias alles erzählt, dann hätten sie ihre Vorfreude teilen können, aber sie beherrschte sich. Über ihren Sohn hätte Gabriele von ihren Plänen Bescheid gewusst und wäre möglicherweise wieder auf die Idee gekommen sie zu begleiten. Sie wollte jedoch unbedingt alleine fahren.

Erst im Zug hatte Kathi ihrem Sohn das Ziel der Fahrt erklärt, der sich vor Freude kaum bändigen konnte, wie ein Vollgummiball hüpfte er auf dem Sitz ihr gegenüber herum, zum Glück hatten sie ein Zugabteil für sich alleine, sodass keiner Anstoß daran nehmen konnte.

Am Bahnhof waren sie von Doro und Viola abgeholt worden und schon im Auto machte sich bei Kathi das angenehme Gefühl von Geborgenheit breit. Glücklich drückte sie Mattias neben sich die Hand, die Ruhe schien sich auch auf ihn zu übertragen, er saß nur einfach da und schaute draußen auf die blühenden Obstbäume, an denen sie vorbeifuhren.

Mattias wollte sofort mit Kelly spazierengehen, auch Doro war damit einverstanden, da der Hund seine Mittagsrunde laufen sollte. Fast entschuldigend meinte sie, mehr als die übliche Morgenrunde hätte sie heute noch nicht geschafft und sie sei noch recht kaputt vom Tag vorher.

„Gestern war viel Betrieb im Blumenladen, langsam geht der Sommerblumenverkauf los, daher gönne ich mir heute einen faulen Tag, aber deswegen darf der Hund nicht zu kurz kommen, der kann ja nichts dafür.“

Heute hatte jeder an das richtige Outfit gedacht, bei Doro schien immer ein frischer Wind zu wehen, dankbar zog Kathi den Kragen ihrer Jacke über ihre Ohren, für ihren Sohn hatte sie sogar einen Schal eingepackt. Der Frühling war dieses Jahr immer noch sehr zurückhaltend, außer an ein paar einzelnen, sonnigen Tagen, hatten sie ihn noch nicht genießen können.

Als die kleine Gruppe die Höhe erreicht hatte und Doro mit dem Zeigefinger hinüber auf den Bereich der Waldstraße zeigte, beobachtete sie Kathi von der Seite,

aber die junge Frau hielt sich erstaunlich ruhig. Mit traurigen Augen stand sie einfach still da und sah sich das Reich ihrer zerplatzten Träume an.

„Man kann die Ruine nicht erkennen“, meinte sie einfach.

„Ich sagte ihnen doch, dass es zu weit weg ist, aber seit dem Tag des Brandes stehe ich oft hier oben und muss an sie denken. Anfangs kannte ich sie noch nicht, da dachte ich nur einfach über das Schicksal der Familie nach, die ihr Zuhause verloren hat. Aus dem wenigen, was in der Zeitung stand, konnte man nicht allzu viel anfangen, aber es hat meine Phantasie angeregt. Jetzt kenne ich sie und sehe, dass die Wahrheit noch trauriger als in meiner Vorstellung ist.“

Langsam gingen sie weiter und Kathi begann zu erzählen: „Ich sagte ja schon, dass wir uns alles so perfekt vorgestellt hatten, mein Mann bekam eine interessante Stelle angeboten, für ihn ein Traumjob, so eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt.

Das bedeutete für uns raus aus Köln, ich habe nie haben wollen, dass Mattias in der Stadt aufwächst. Anfang letzten Jahres fanden wir unser Haus im Wald, ein paar Änderungen mussten wir machen lassen, die restlichen Renovierungen, wie auch Tapezieren wollten wir selber angehen.

Zum Mai kündigten wir unsere Stellen beim Ambassador, nahmen unseren Resturlaub und richteten ein Zimmer nach dem anderen ein. Es sollte so richtig gemütlich werden ... und das wurde es auch, Mitte Juli waren wir mit allem fertig, wir hatten einen offenen Kamin und wohnten herrlich ruhig.

Das Haus zur linken Seite diente nur als Ferienwohnung, war also selten bewohnt und auf der rechten Seite, wohnte ein älteres Ehepaar, mit denen wir uns schon etwas angefreundet hatten. Wir hatten uns schon nach einem Zweitwagen für mich umgesehen, den brauchte man in der Waldstraße, denn die Lage ist doch sehr abgelegen. Mattias war schon in der Schule angemeldet, wie sie ja wissen. Wir waren mit fast allem fertig und fühlten uns wie im siebten Himmel.

Jetzt noch eine Woche Urlaub auf Mallorca zum Abschluss, denn danach sollte der Alltag wieder losgehen und an Urlaub wäre die nächste Zeit nicht zu denken. Dieser verfluchte Urlaub, wären wir doch nie weggefahren ...“

Kathi versagte die Stimme, sie kramte nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase.

Doro und Viola blieben still und warteten darauf, dass Kathi fortfahren würde, Mattias lief mit Kelly durchs Gras und suchte Mäuselöcher mit ihr.

„Der Urlaub war wunderschön, das Wetter perfekt, fast schon zu heiß, die eine Woche ging rasend schnell vorbei, wir haben fast die ganze Zeit am Strand zugebracht. Es sollte ja auch ein richtiger Faulenzer-Urlaub werden. Abends gab’s im Hotel immer ein tolles Buffet und ich ging jeden Abend mit Mattias vor zum Duschen. Dirk, mein Mann schwamm dann immer noch eine Runde, um später nachzukommen, jeden Abend, außer am letzten Abend, wir waren lange fertig und warteten, doch mein Mann kam nicht.

Ich dachte, er würde den letzten Abend noch einmal  ausnutzen und besonders weit hinaus schwimmen wollen, schließlich war ich wütend auf ihn, er hätte mir wenigstens Bescheid sagen können.

Ich bin dann mit Mattias alleine zum Essen gegangen, aber Appetit hatte ich keinen. Als danach immer noch nichts von ihm zu sehen war, machte ich mir Sorgen, mit Mattias an der Hand gingen wir den Strand absuchen, ich sprach auch einige andere Gäste an, aber keiner hatte eine Spur von Dirk gesehen. Noch nicht einmal sein Handtuch lag im Sand, nichts zu sehen, alles weg.

Als ich nicht mehr weiter wusste, bin ich zur Rezeption, um mir dort helfen zu lassen, die waren zwar freundlich, meinten aber, er würde schon wiederkommen, bei so einer schönen Frau, wie ich es sei ... typisch Spanier. Sogar spät am Abend, Mattias hatte ich mittlerweile zum Schlafen gelegt, erzählten sie mir, dass mein Mann sicherlich eine andere schöne Senorita getroffen habe, ich solle einfach schlafen gehen, wenn ich morgen früh wach würde, sei er sicherlich reumütig wieder da.

Als wenn ich hätte schlafen können. Die wollten nur keine Polizei rufen und keine Unruhe unter den Gästen haben. Als ich keine Ruhe gab, schickten sie mir einen Menschen, der dort wohl den Hoteldetektiv machen sollte. Der ließ sich ein Foto von meinem Mann zeigen und fragte nach seinen Gewohnheiten, erklärte mir

aber, dass es keinen Sinn machen würde in der stockdunklen Nacht draußen auf dem Meer nach meinem Mann zu suchen.

In dieser Nacht habe ich kein Auge zugemacht, immer habe ich gedacht, jetzt geht die Tür auf und Dirk kommt mit irgendeiner Entschuldigung herein. Am nächsten Morgen erklärte man sich zur Suche bereit, es blieb der Hotelleitung nichts anderes übrig als die Polizei zu verständigen.

Es kamen zwei Männer, von denen einer sehr gut deutsch sprach, und nahmen ein Protokoll auf. Wieder musste ich Dirks Gewohnheiten schildern und jede Menge Fragen beantworten, aktuelle Fotos hatten wir genug geschossen und auch schon entwickeln lassen. Aber noch während der Befragung, kam schon die nächste Hiobsbotschaft, über Funk bekamen die Herren die Meldung, unser Haus in Deutschland sei abgebrannt und jetzt müsse ich mit auf die Wache kommen, um dort meine Aussage zu machen.

Was folgte waren die schlimmsten Stunden, die ich je ausgestanden habe. Unsere Nachbarin, die nette ältere Dame, behauptete steif und fest, sie habe meinen Mann am frühen Sonntagmorgen mit unserem Auto ankommen sehen, unser Haus betreten und auch wieder verlassen sehen. Einige Zeit später habe sie dann das Feuer bemerkt und die Feuerwehr alarmiert.

Ich war wie vom Blitz getroffen, es konnte doch alles nicht sein und die Fragen hämmerten immer weiter auf mich ein, in Deutsch ebenso wie in Spanisch. Jetzt sollte mein Mann ein Brandstifter sein und Versicherungsbetrug begehen, während wir unseren Urlaub als Alibi vorschieben würden.

So ein Quatsch sagte ich, schließlich hätte ich selbst gestern Abend schon die Polizei benachrichtigen wollen. Und wir hätten unser Haus gerade erst frisch renoviert, dann lässt man es doch nicht hinterher abbrennen. Es half alles nichts, keiner wollte mir mehr glauben und am Schluss wusste ich selbst nicht mehr, was ich noch glauben sollte.

Auch Mattias war ganz verstört und nur noch am Weinen, der arme Kerl tat mir entsetzlich leid.

Die Befragung dauerte Stunden, es war unglaublich, was denen alles zum Fragen einfiel, am Schluss war ich fix und alle und habe nur noch mit dem Kopf geschüttelt.

Irgendwann kam jemand auch mal auf die Idee uns etwas zum Essen zu bringen, aber da war ich schon richtig apathisch und habe nur noch darin herumgestochert.

Plötzlich ging es richtig hektisch zu, mir rauchte der Kopf von der spanischen Schreierei um mich herum und ich verstand erst einmal gar nichts mehr. Irgendeiner zerrte mich am Arm und meinte „Vamos!“

Die haben sicher Dirk gefunden, jetzt klärt sich alles auf, dachte ich und ging erleichtert mit.

Aber leider nein, man brachte uns nur ins Hotel, damit ich packen konnte, dann hat man uns zum Flughafen und in das Flugzeug gesetzt mit dem wir sowieso zurückfliegen wollten, natürlich zu dritt.

Am Köln–Bonner Flughafen angekommen, nahm uns sofort die Polizei in Empfang. Sie ließen sich von mir zeigen, wo unser Wagen stehen sollte, aber der war da wo er sein sollte: Auf dem Parkplatz Nord. Sofort ging die Fragerei wieder los: Ob ich genau wüsste, dass wir den Wagen genau auf diesem Platz geparkt hätten, als wir abgeflogen seien!

Wissen sie wie groß der Parkplatz Nord ist? Ich bin froh, dass ich das Auto überhaupt gefunden habe, bei meinem Orientierungssinn und nach den Stunden, die ich hinter mir hatte. Warum wir nicht im Parkhaus geparkt hätten? Da wären Überwachungskameras gewesen, aber der offene Parkplatz wurde nicht überwacht, das hätten wir doch sicher gewusst.

Ich sagte, ich habe gar nichts gewusst und habe einfach nur in einen schönen Urlaub fliegen wollen. Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt und ich habe einen der Polizisten angebrüllt, er solle doch gefälligst meinen Mann suchen, dann könne er ihn selber fragen. Danach waren sie etwas netter zu mir und haben gefragt, wohin sie mich bringen könnten. Ich müsste mich zu weiteren Fragen bereithalten und das Auto würde zur Spurensicherung beschlagnahmt.

Wo sollte ich nun hin? Unser Haus war unbewohnbar, außerdem war dort auch die Spurensicherung zugange. Zur Nachbarin wollte ich nicht, zum einen, weil ich sie kaum kannte und zum anderen, weil sie behauptet hatte, meinen Mann gesehen zu haben. Verwandtschaft habe ich keine wo ich hätte hingehen können, ich war total deprimiert und unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.

Die einzige Person, die mir einfiel und die mir helfen könnte, das war Gabriele. Ich war noch nicht einmal in der Lage, sie von meinem eigenen Handy aus anzurufen, so sehr war ich am Zittern. Eine Polizistin hat ihre Nummer für mich angewählt und als das Freizeichen zu hören war, dachte ich nur daran, was ich tun könnte, wenn sie nicht zu Hause wäre, oder mir nicht helfen könnte. Doch zum Glück war sie zu Hause und auch sofort bereit mich und Mattias bei sich aufzunehmen. Ich wurde nach Köln zu ihrer Wohnung gebracht und dort hatte ich einen Nervenzusammenbruch, ich habe den ganzen Abend nur geheult.

Gabriele hat die Tragödie von den Polizisten erläutert bekommen, dazu wäre ich an diesem Abend nicht mehr in der Lage gewesen. Nach allem, was ich durchgemacht hatte, war ich erstaunt, dass immer noch erst Sonntagabend war. Meinen Mann hatte ich vor vierundzwanzig Stunden zum letzten Mal gesehen, als er mir freudig erklärte, dass er seine übliche Schwimmrunde drehen wolle und ich mich und Mattias schon zum Abendessen fertigmachen solle.

Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er mir glücklich zuwinkte und dann mit kräftigen Zügen aus der Bucht herausschwamm.

Gabriele war unendlich geduldig mit mir, sie saß den ganzen Abend an meinem Bett und hat beruhigend auf mich eingeredet, mich gestreichelt und mich mit Unmengen von Papiertaschentüchern versorgt.

Mattias und ich schliefen zusammen in ihrem Gästebett, es hätte zwar auch noch ein Sofa zum Schlafen gegeben, aber es erschien mir richtig, Mattias dicht an meiner Seite zu spüren ...“

Während Kathi erzählte waren die Frauen weitergegangen und hatten immer wieder ein Auge auf Mattias und Kelly gehabt, doch die beiden kamen glänzend miteinander zurecht. Mattias hatte mit ihr Verstecken gespielt und Stöckchen geworfen und war mit ihr über die Wiesen gelaufen, der kleine Kerl war ganz außer Atem und hatte rote Backen.

Inzwischen waren sie wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen und jeder freute sich auf ein warmes Getränk, Doro hatte auch wieder einen leckeren Kuchen gebacken, jeder half mit und so war der Tisch schnell gedeckt und sie konnten es sich schmecken lassen.

„Hast du jetzt gesehen, wie schnell die Kelly laufen kann, Mama?“

„Ja, mein Schatz, das hab ich.“

„Und gefunden hat sie mich auch immer ganz schnell, das ist ein toller Hund, so einen hätte ich auch gerne...“

„Du weißt genau, dass wir in unserer Wohnung in der Stadt keinen Hund haben können.“

„Ja leider.“  Mattias schob sich sein letztes Stück Kuchen in den Mund und rutschte langsam vom Stuhl herunter. „Darf ich zu Kelly gehen?“

„Ja mein Schatz, du darfst.“  Fragend sah Kathi auch zu Doro, doch die nickte lächelnd.

Mattias kniete neben dem Hund auf dem Boden und versuchte ihn mit einem Tennisball zum Spiel zu ermuntern, doch der Hund gähnte nur und legte den Kopf zwischen die Vorderpfoten.

Das Kind legte sich neben den Hund auf den Teppich und streichelte über das weiche Fell.

Es dauerte keine fünf Minuten, da ließen die gleichmäßigen Atemgeräusche darauf schließen, dass beide eingeschlafen waren.

„Was ich jetzt noch nicht verstehe, ist die Sache mit den Waffen. In der Zeitung stand doch, mehrere Waffen seien auch verschwunden.“ Doro sah fragend zu Kathi.

„Ja“, sagte die, „das verstehe ich allerdings selbst immer noch nicht. Mein Mann hatte verschiedene Jagdwaffen von seinem Vater geerbt, mein Schwiegervater war ein leidenschaftlicher Jäger, das Hobby hat er auch seinem Sohn vermacht. Als er zu alt für die Jagd wurde, bekamen wir alle Waffen, sie wurden ordnungsgemäß auf meinen Mann übertragen, das heißt, er hatte einen Waffenschein für alle Waffen. Der Schrank hing schon in unserer Wohnung in Köln, als wir dort noch zusammen wohnten, allerdings nur im Schlafzimmer, da wir nirgendwo einen rechten Platz dafür hatten.“

„Wie viele Waffen waren das eigentlich?“ wollte Viola wissen.

„Insgesamt vier, drei Langwaffen, also Gewehre und eine Pistole, mitsamt Munition.“

„Also ich hätte nicht gerne irgendwelche Waffen im Haus, war ihnen das nicht komisch.“

„Was glauben sie, wie vorsichtig Dirk war, einmal hat er seinen Schlüsselbund verlegt und erst ein oder zwei Tage später wieder gefunden, da hat er sofort die Schlüssel für den Waffenschrank in einem Schließfach deponiert. Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn Mattias oder einer seiner Freunde, die Schlüssel in die Hände bekommen hätte und dann irgendwelchen Unsinn mit den Waffen angestellt hätte. Glauben sie mir, da war mein Mann sehr vorsichtig, alles war so, wie es sein durfte, das hat die Polizei damals auch sofort untersucht.“

„Sind die Waffen denn gefunden worden?“

„Nein, kein Stück davon.“

„Und der Schlüssel, was war damit?“

„Die Schlüssel, zu dem Waffenschrank gehören zwei Schlüssel, da die Munition in einem gesonderten Fach im Schrank und extra abzuschließen ist, alles Sicherheitsmaßnahmen.

Die Schlüssel waren da, wo sie sein sollten, nämlich im Schließfach bei der Bank, wo sie nach dem Umzug wieder deponiert wurden. Da war anscheinend kein Mensch dran gewesen, und außer dem einen paar Schlüssel gibt es keine weiteren.“

„Und ihre Nachbarin in der Waldstraße hat an diesem Sonntagmorgen ihren Mann wirklich gesehen?“

„Jedenfalls behauptet sie das. Sie sagte, sie hätte unser Auto vorbeifahren hören und weil sie wusste, dass wir erst abends zurückkommen wollten, hätte sie genau aufgepasst. Auf jeden Fall sei ein Mann ausgestiegen, auf den genau die Beschreibung meines Mannes zutrifft und sei mehrmals zwischen Haus und Auto hin und her gegangen und schließlich wieder weggefahren. Etwa eine halbe Stunde später habe sie dann den Rauch bemerkt und die Feuerwehr alarmiert.“

Die Frauen waren ratlos und sahen sich an, bis Doro schließlich wieder anfing: „So sind sie dann wieder nach Köln gezogen, wie kamen sie denn an ihre alte Wohnung dran, ich weiß doch von meinem Sohn, dass günstige Wohnungen dort sehr gesucht sind.“

„Wohnt ihr Sohn auch in Köln?“

„Nein, das nicht, mein Bruder wohnt in Bonn, aber er ist Immobilienmakler und kommt viel in der ganzen Gegend herum, der kennt sich überall aus.“

„Wie es kam, weiß ich auch nicht genau, es ist mir eigentlich egal, auf jeden Fall stand unsere alte Wohnung immer noch leer und Gabriele hat sie für mich wieder angemietet. Ich sagte ihnen ja schon, dass sie so viel für mich getan hat, wozu ich damals auch gar nicht in der Lage zu gewesen wäre.

Eigentlich war ich unfähig zu allem, wenn man mich gelassen hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht aus meinem Bett herausgekrochen. Aber Mattias musste zur Schule gehen, zum Glück bekam er in der Schule, in die auch die meisten seiner früheren Freunde gingen, einen Platz. Eigentlich fühlt er sich ganz wohl dort, nur seine Klassenlehrerin, die mag er nicht so besonders.“

„Ja“, meinte Viola, „er ist wieder in sein altes Umfeld hineingekommen, das war für ihn wahrscheinlich das beste.“

„Gabriele hat mir beim Einrichten meiner neuen alten Wohnung geholfen, einige der Möbel konnten wir aus unserem Haus gebrauchen, doch das meiste war verbrannt, oder stank entsetzlich nach dem Rauch. Sie hat mir geholfen wo sie nur konnte und solange meine Wohnung noch nicht fertig war, durfte ich bei ihr wohnen, sie hat mir sozusagen wieder auf die Füße geholfen. Und zwischendurch immer wieder die Befragungen von der Polizei, danach musste sie mich immer wieder aufmuntern.

Es war unglaublich mit welchen Theorien ich immer wieder bombardiert wurde, mir kam so vor, als sei ich mit einem Schwerverbrecher verheiratet gewesen.

Irgendwann kamen sie mit finanziellen Ungereimtheiten bei unserer früheren Arbeitsstelle, in die mein Mann verwickelt sein sollte. Ich musste erklären, woher wir das Geld für unseren Hauskauf hatten, aber ich hatte mich früher nie um unsere finanziellen Dinge gekümmert, das hat alles Dirk geregelt.

Ich kam mir plötzlich richtig blöde vor, aber mein Mann war schließlich über zehn Jahre älter als ich und hatte diese Dinge einfach in die Hand genommen, warum denn auch nicht? Ich war gerade Anfang zwanzig als wir heirateten und erst zweiundzwanzig als Mattias geboren wurde und ich hatte nie einen Grund an Dirk zu zweifeln.“

„Oh“, sagte Doro, „dann seit ihr beide ja gleich alt, ich hätte sie älter als Viola geschätzt.“

„Ach Mama, das ist doch so egal, wenn ich soviel wie Kathi durchgemacht hätte, sähe ich auch älter aus.

Aber wie war das mit dem Geld, was hatte man ihrem Mann vorgeworfen?“

„Wir arbeiteten beide im Ambassador, einem bekannten Hotel mit Restaurantbetrieb in Köln, das heißt, auch hier hatte mein Mann eine leitende Position und ich konnte nach der Geburt von Mattias nur bei Bedarf helfen, ich habe immer dann gekellnert, wenn viel zu tun war. Natürlich nur dann, wenn ich einen Babysitter für den Kleinen auftreiben konnte, manchmal setzte sich Frau Weidenbach zu ihm und manchmal konnte mir Gabriele aushelfen. Nur war meine Arbeitszeit meistens abends und manchmal bis spät in die Nacht, das war ungünstig. Frau Weidenbach ist abends öfter bei uns auf dem Sofa eingeschlafen.“

Kathi musste bei der Erinnerung unwillkürlich grinsen. „Am besten war immer noch, wenn Dirk einen anderen Dienst als ich hatte und dann selbst auf seinen Sohn aufpassen konnte. Später als ich dann wieder nach Köln zurückgezogen bin, habe ich erst mal wieder beim Ambassador angefangen, aber jetzt war ich komplett auf einen Babysitter angewiesen, obwohl Mattias zwar kein Baby mehr war und sogar eher vernünftig für sein Alter, aber abends allein zu Haus bleiben, das ging nicht.“

„Das ist wohl auch kein Wunder.“

„Als dann im November die Sache mit dem Geld aufgedeckt wurde, hatte ich die Nase voll, ich habe mich verrückt gemacht, um überhaupt arbeiten gehen zu können und die kamen mit Beschuldigungen über meinen Mann. Dirk hätte niemals etwas Unrechtes getan, aber damals konnte jeder auf ihm herumhacken, er war ja nicht da, um sich zu wehren.

Ich war auf jeden Fall erleichtert, als ich die Stelle bei Fritz bekam, dort stimmt das Arbeitsklima und vor allem die Arbeitszeit, ich muss zwar morgens schon sehr früh anfangen, dafür habe ich mittags schon Feierabend und kann für Mattias da sein.“

„Bei Fritz sind sie wirklich gut aufgehoben, den könnte ich mir auch gut als Chef vorstellen“, warf Doro dazwischen.

Aber Kathi war noch etwas eingefallen.

„Bevor die Geschichte mit dem Geld aufgedeckt wurde, hieß es zuerst, Dirk hätte eine Geliebte und hätte sich mit ihr ins Ausland abgesetzt. Und da hat zu allem Übel Gabriele auch noch mitgeholfen, das könne sie sich sehr gut vorstellen, schließlich wäre er auch hinter ihr hergewesen und an Kontakt zu wohlhabenden Frauen, die zu allem bereit seien, hätte es meinem Mann mit Sicherheit nicht gemangelt.

Damals hätte ich am liebsten jedem, der schlecht über meinen Mann sprach, die Augen ausgekratzt. Er hatte mir selbst immer erzählt, wie sehr ihn die Annäherungsversuche verschiedener Frauen, die meinten sich mit Geld alles kaufen zu können, abstießen. Aber von allen Seiten bekam ich nur schlechtes zu hören, so wusste ich am Ende selbst nicht mehr, was ich glauben sollte und was nicht.

Da von Dirk noch immer keine Spur zu finden war, obwohl die Polizei allen Hinweisen nachging, fing ich an, mich in ein Schneckenhaus zurückzuziehen. Vor allem, als nach der Geliebtenversion auch noch Gabriele anfing auf ihm rumzuhacken. Sie hat mir damals sehr weh getan, als sie sagte, dass er auch hinter ihr her gewesen sei, denn ich weiß genau, dass sie nicht sein Typ war. Zumindest hat er mir das immer erzählt, obwohl altersmäßig hätten sie gut zusammengepasst, er ist genau zwei Jahre älter als sie.

Aber was nun wirklich alles geschehen ist, ich weiß es nicht, da bisher alle Spuren im Sande verliefen, ich habe die Hoffnung eigentlich aufgegeben, dass Dirk noch lebt und dass ich ihn noch einmal wiedersehe.“

„Sie tun mir richtig leid“, meinte Doro aufrichtig, „wenn wir ihnen doch nur irgendwie helfen könnten.“

„Sie haben mir geholfen, indem ich mir alles von der Seele reden konnte und sie mir so lange und geduldig zugehört haben, jetzt fühle ich mich viel besser, irgendwie befreit.“

„Haben sie denn gar keinen, dem sie sich hätten anvertrauen können, was ist mit ihren Eltern oder Geschwistern, die hätten doch bestimmt zu ihnen gehalten.“

„Geschwister habe ich leider keine, das heißt doch, eine Halbschwester, aber die ist gerade erst neun oder zehn Jahre alt. Meine Mutter ist schon früh an Krebs gestorben, ich war gerade fünfzehn Jahre alt und ich habe meinem Vater nie verziehen, dass er schon bald darauf wieder geheiratet hat, keine zwei Jahre später. Seine neue Frau hat sich zwar um mich bemüht, aber mir war das alles egal, ich wollte und konnte sie nicht akzeptieren, ich ließ sie erst gar nicht an mich heran. Ich fing dann eine Lehre als Restaurantfachfrau an und war heilfroh, dass ich dort auch ein kleines Zimmer für mich bekommen konnte und von zu Hause fortkam. Mein Vater ist irgendwann nach Hamburg gezogen, er schickt mir eine Karte zum Geburtstag und eine zu Weihnachten und das war’s.“

„Das ist natürlich auch hart, in dem Alter, da waren sie mitten in der Pubertät, das kann ich mir gut vorstellen, da hätte ich wahrscheinlich genauso reagiert.“

Viola sah Kathi traurig an. „Meine Güte, was haben sie schon alles durchgemacht.“

„Die Tatsache, dass meine Mutter sterben würde, kam ja nicht von heute auf morgen, wir hatten zwar immer wieder Hoffnung, dass sie die Krankheit  vielleicht doch noch besiegen würde, doch am Schluss ging es recht schnell vorbei. Damit hatte ich mich abgefunden,

Teenager können auch ganz schön zäh sein. In meiner Vorstellung wollte ich meinen Vater versorgen, kochen, waschen, den ganzen Haushalt eben, ich sah mich schon als Hausfrau. Dann kam er mit dieser Pute und meinte Frau Abels würde auch mich entlasten, das sei doch alles zu viel für mich. Ich kam eigentlich sofort dahinter, dass es sich bei der lieben Frau Abels nicht um eine bezahlte Haushaltshilfe handelte, die hätten wir uns auch gar nicht leisten können. Es ging ruck, zuck, da war die Pute mit all ihrem Kram bei uns eingezogen und schlief in Mutters Bett.“

„Weißt du, wovon ich geträumt habe Mama?“

Die drei Frauen wurden jäh aus ihren Gedanken gerissen, sie waren so sehr in Kathis Bericht vertieft gewesen, dass sie nicht bemerkt hatten, dass sich Mattias auf dem Teppich streckte und waren von seinen Worten fast erschrocken.

„Wovon hast du denn geträumt, mein Schatz?“

„Ich träumte, ich hätte einen eigenen Hund und mit dem bin ich durch den Wald gelaufen, dort, wo wir letztens mit der Klasse den Ausflug hin gemacht haben, weißt du noch?“

„Ja natürlich, da hatte es dir so gut gefallen, dass ich dir versprochen habe, noch einmal mit dir hinzufahren, damit du mir alles zeigen kannst.“

„Genau, wann fahren wir da wieder hin, Mama?“